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Geliebter, betrogener Mann

Geliebter, betrogener Mann

Titel: Geliebter, betrogener Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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»Ich läute nicht, denn Eitelkeit macht mich stumm.« Nach einem Monat hieß es bereits, wenn jemand begraben wurde und der Sarg über den stummen Friedhof getragen wurde: »Die Schwennig-Stunde beginnt.« Das ging zwei Jahre so, bis der Fabrikant Hans Schwennig resignierte und die Glocke anbringen ließ. Mit der Inschrift: ›Memento mori‹.
    Das alles wußte Dr. Wehrmann nur zu gut, als er durch die Toreinfahrt rollte und vor dem Pfarrhaus hielt. Er war sich sicher, daß er nicht einem Gefecht, sondern einer Schlacht entgegenging. Was Dechant Bader einmal gedacht hatte, war so fest gebaut wie seine Pfarrburg und seine Kirche.
    Die Haushälterin, die Dr. Wehrmann öffnete, sah den Arzt erstaunt an. »Ist der Herr Dechant krank?« fragte sie »Davon weiß ich ja gar nichts.«
    »Was für eine Laune hat er?« fragte Dr. Wehrmann zurück.
    »Grantig, Herr Doktor.« Die Haushälterin wischte sich die Hände an der Schürze ab und gab Wehrmann die Hand. »Hat er Sie angerufen?«
    »Nein. Ich komme von allein.«
    »Oje!«
    »Was heißt: oje?« Dr. Wehrmann schob seinen Löwenschädel vor. »Ich muß mit ihm sprechen.«
    »Gerade Sie?«
    »Gerade ich! Warum hat er denn schlechte Laune?«
    »Er ist vor einer Stunde von einem Krankenbesuch zurückgekommen. Das muß ihn so wild gemacht haben.«
    »Krankenbesuch?« Dr. Wehrmann ging im Geiste alle Kranken ab, die in Heidkamp bettlägerig waren. Er fand niemanden darunter, der Dechant Bader so erregen konnte. »Wo denn?«
    »Das weiß ich doch nicht.«
    Dr. Wehrmann trat in die große Diele. Uralte, handgeschnitzte Schränke standen an den steinernen Wänden. Wie ein Gewölbe war es, mit Schreinen, in denen man Mumien vermuten konnte. Die Haushälterin ging weg, um Dr. Wehrmann anzumelden. Sinnend ging Wehrmann in der großen Diele hin und her, blieb vor den riesigen Schränken stehen und las die Jahreszahlen, die meistens am Kopfstück eingeschnitzt waren. Er hörte von weitem die laute Stimme des Pfarrers, gedämpft durch dicke Eichentüren. Dann war die Haushälterin wieder da, mit hochrotem Kopf und sehr verlegen.
    »Nun?« fragte Dr. Wehrmann ahnungsvoll.
    »Der Herr Dechant sagt, er brauche kein Klistier.« Die Haushälterin senkte den Blick. »Er hat mir aufgetragen, es Ihnen wörtlich auszurichten.«
    »Das ist gut.«
    Dr. Wehrmann hob den massigen Kopf. »Wir sind aus dem gleichen Holz, liebe Frau Berger, und wenn das zusammenklingt, gibt's einen vollen Ton. Gehen wir also!«
    »Um Gottes willen! Sie können doch nicht einfach …«
    Die Haushälterin wollte Dr. Wehrmann festhalten, aber der Arzt hatte bereits eine der Türen geöffnet. »Und ob ich kann!« schrie Dr. Wehrmann und trat ein. Er warf hinter sich die Tür zu und stand in einem schmalen Raum voller Bücher. Es war die Pfarrbibliothek. Im Hintergrund stand eine Tür offen und gab den Blick in einen großen, hellen Raum frei. Aus diesem Zimmer dröhnte jetzt eine Stimme. »Kommen Sie durch! Ich wußte, daß Sie so eintreten! Was kann man von einem Antichristen anderes erwarten!«
    Dr. Wehrmann schob seinen Löwenschädel vor. Mit großen Schritten durcheilte er die Bibliothek und stand Dechant Bader gegenüber, der hinter einem massigen Schreibtisch saß und in der Kirchenzeitung las.
    »Guten Tag!« sagte Wehrmann laut.
    »Gott zum Gruße«, antwortete Bader.
    »Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«
    »Ich auch.«
    »Auf einmal?«
    »Ja. Aber ich wollte es auf neutralem Boden tun. Hier kann ich Sie, und in Ihrer Praxis können Sie mich hinauswerfen, wenn wir uns nicht einig werden.«
    »Bei solchen vorausschauenden Gedanken kann unser Gespräch wirklich interessant werden«, bellte Dr. Wehrmann. »Also los!«
    Dechant Bader brannte sich eine Zigarre an. Da er Dr. Wehrmann keine anbot, griff dieser einfach über den Tisch in die Kiste und bediente sich selbst. Schweigend gab ihm Bader Feuer.
    »Wie lange waren Sie nicht mehr in der Kirche?« fragte er, nachdem er das Streichholz ausgeblasen hatte. Dr. Wehrmann hob die buschigen Augenbrauen.
    »Wollen Sie bei mir missionieren?«
    »Eher hacke ich zehn Wotanseichen um!« Dechant Bader legte seine riesigen Fäuste auf den Tisch. »Ich frage nur deshalb, um zu dokumentieren, daß meine Sorgen nicht Ihre Sorgen sein können. Eben komme ich wieder von einer Schweinerei, die ihr Mediziner als ›Fall‹ hinnehmt. Bei mir rüttelt es an den Grundfesten der Moral.« Dechant Bader stand auf und ging um Dr. Wehrmann herum wie ein Bär, der in der Manege seinen Dompteur

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