Geliebter Boss
jener großen Halle mit der langgestreckten Gepäckbank, vor der sich die Fluggäste mit ihren Koffern anstellen müssen. Die Zollkontrolle geht schnell. Es ist Hochsommer, und viele Flugtouristen sind unterwegs. Die Beamten öffnen selten einen Koffer und machen einfach ihr Kreidekreuz darauf. Nur selten machen sie eine Stichprobe.
Als Zanders an der Reihe ist...
»Etwas zu verzollen?«
»Nein. Nichts.«
»Alkohol? Handelsware?“
»Nur mein persönlicher Bedarf.«
»Würden Sie bitte den Koffer öffnen?«
»Diesen?«
»Nein. Den anderen.«
Zanders öffnet verärgert den Koffer. Es ist der Koffer, in den er heute morgen in Nizza Birkes Kleider, ihre Wäsche, die Handtaschen, die Schuhe und die rote Badejacke gepackt hat.
Der Beamte hebt die einzelnen Stücke heraus.
»Ihr persönlicher Bedarf?«
»Die Kleider gehören meiner Frau.«
»Fliegt Ihre Gattin mit?«
»Sie ist mit dem Zug vorausgefahren. Ich bringe ihre Sachen nach.«
Der Zollbeamte steht unschlüssig.
»Das widerspricht den Vorschriften.«
»Es sind getragene Kleider.«
»Können Sie das beweisen?«
»Das Parfüm. Neue Kleider sind selten parfümiert.«
»Ein gutes Argument«, sagt der Beamte und macht den Koffer wieder zu.
Zanders ist verärgert. Erstens haßt er den Aufenthalt an der Zollschranke und die geöffneten Koffer, in die jeder hineinschaut, der nebenan wartet, und zweitens macht ihn der zärtliche Duft aus Birkes Kleidern und ihren Nachthemden verwirrt. Ihm ist, als ob Birke neben ihm stünde, so nahe ist sie ihm in diesem Augenblick, als er ihre Kleider wiedersieht, den Geruch ihrer Haut spürt. Er wendet sich um, aber da steht niemand. Nur der Gepäckträger, der die Koffer wieder an sich nimmt.
»Via Wien, Gangway 5«, sagt er.
Zanders antwortet nicht.
Seine Gedanken sind bei Birke.
Zanders bleibt nur vier Tage in Wien. Er ist wieder im Hotel Imperial am Ring abgestiegen, Zimmer 458, wie immer. Das Nachbarzimmer, in dem damals Birke wohnte, ist von einer Opernsängerin belegt, die gerade an der Staatsoper gastiert. Sie ist ein alter Stammgast des kaiserlichen Hotels. Zanders kennt sie von der Bühne her und von gelegentlichen Begegnungen im Lift, wenn sie zu ihrem Zimmer in den fünften Stock hinauffuhr.
Am ersten Tag hat sie angerufen.
»Seien Sie bitte nicht ungehalten — ich habe eine schwere Premiere vor mir und muß mich in den Nachmittagsstunden einsingen. Mein altes Zimmer war nicht frei...«
»Liebste gnädige Frau«, hat Zanders geantwortet, »ich komme so zu dem Genuß Ihrer Stimme, ohne nach Premierenkarten anstehen zu müssen. Machen Sie sich bitte keine Gedanken, ich bin außerdem tagsüber sowieso selten zu Hause.«
Nicht einmal zum Haarschneiden kommt Zanders, trotzdem er es dringend nötig hätte, jede Stunde des Tages ist voll ausgelastet. Er steht früh auf, frühstückt im Cafe des Hotels, am gleichen Tisch am Fenster, an dem er mit Birke saß, dann fährt er hinaus in die Steyr-Werke und steht bei dem neuen Wagen. Er legt selbst mit Hand an. Es pressiert ihm. Er will nach Hause zurück, aber diese Testfahrt muß erst hinter ihm liegen. Er will frei sein, frei für das, was er vorhat. Er weiß selbst noch nicht, wie es weitergehen wird, aber daß er Birke Wiedersehen muß, steht fest.
Nach drei Tagen ist der Wagen startklar.
Der Testfahrt steht nichts mehr im Wege.
»Morgen kann es losgehen, Saussen«, sagt der Chefingenieur.
»Ich rechne mit jedem Tag.«
»Die Teststrecke wird morgen für Sie frei gemacht und für alle anderen Fahrzeuge gesperrt.«
»Ich drehe zuerst dreißig Runden auf der Schotterbahn mit den Schlaglöchern, Frostaufbrüchen, Querrinnen und dann fünfzig Runden auf der glatten Bahn.«
»Wäre es nicht umgekehrt richtiger?«
»Es ist ein Gebrauchswagen, kein Spider. Ich will wissen, wie er auf der glatten Strecke liegt, wenn er die Strapazen hinter sich gebracht hat. Anschließend fahre ich Landstraße — bis Linz und zurück.«
Der Chefingenieur ist einverstanden.
»Wir haben die Schotterbahn neu angelegt, die Schwierigkeiten sind verstärkt worden. Waren Sie schon draußen bei dem neuaufgeschütteten Kiesberg?«
»Ich lasse mich überraschen«, antwortet Zanders.
»Bis morgen!«
»Bis morgen!«
Am letzten Abend geht Zanders allein aus. Er ist immer ein wenig nervös vor diesen Testfahrten mit einem neuen Wagen. Außerdem fehlt ihm Birke. Hier in Wien, wo es begann, besonders. Er hört ihre Stimme, fühlt ihre Hand, wie sie sie beim Sprechen auf seinen Arm
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