Geliebter Krieger
Ihre Sicht war mittlerweile so verschwommen, dass sie nur noch helle und dunkle Flecken sah. Ihr Blickfeld verkleinerte sich, der Boden fing an zu schwimmen und sich in schwarze Wolken zu verwandeln. Sie stand immer noch ganz still, rührte sich nicht. Bitte lass es schnell vorbeigehen .
Dann begann sich ihre Sicht aufzuklären. Sie sah den kleinen Innenhof , in dem sie stand. Und sie war nicht allein. W aren das Menschen? Sie sahen aus wie zwei Männer, aber irgendetwas war anders. Die Luft um die vermeintlichen Männer sirrte merkwürdig, als wären sie von unsichtbaren Flammen umgeben. Ihre blasse Haut war seltsam fahl und ihre Augen leuchteten blutrot. Die Gestalten drängten sie zurück, bis sie schließlich in der Falle saß. Noch bevor sie sich die Szenerie weiter ansehen konnte, wurde ihre Sicht wieder unscharf. Aber nun ging es schneller. Die Farben verschwammen kurz, nahmen aber schnell wieder Form an. Der Boden wurde fest, sie war wieder im Hier und Jetzt. Benommen und immer noch schwankend, Vorahnungen waren anstrengend und belasteten ihren Körper, kramte sie in ihrer Handtasche.
Ich werde heute nicht sterben. Ich werde heute nicht sterben. Ich werde Max nicht allein lassen. Sie betete diese Worte in stoischer Be se ssenheit, als sie hinter einem Müllcontainer in die Hocke ging, ihre Waffe fest umklammert. Sie würde sie benutzen. Zum ersten Mal. Es war zu spät zum Davonlaufen, heute musste sie kämpfen. Ihre Angst schluckte sie hinunter und dachte an Max, das gab ihr Kraft. Es war das erste Mal , dass sie ihre Angreifer in einer Vision annähernd erkennen konnte. Wenn Max nicht gewesen wäre, hätte sie ihre Angreifer schon längst zur Rede gestellt. Sich ihre Freiheit zurück erkämpft. Oder sie hätte es schlicht und einfach darauf ankommen lassen. Wenn sie schon weglief, dann wollte sie wenigstens wissen , warum. Aber jetzt hatte sie Max. Er wäre allein ohne sie. Eine leise Stimme in ihrem Kopf erinnerte sie an die Tatsache, dass ihre Angreifer wohl gar nichts von Max wollten. Durch ihre Verbindung wurde er zum Mittel zu m Zweck.
Ein Geräusch riss sie aus ihren Grübeleien. Langsame Schritte hallten durch den Hinterhof , und sie lehnte sich zurück, um durch den kleinen Spalt zwischen Müllcontainer und Wand zum Eingang schauen zu können.
Da waren sie. Zwei. Genau , wie sie es gesehen hatte. Wenn sie wirklich verrückt war, dann aber beeindruckend detailgetreu. Selbstsicher kamen sie auf Mercy zu. Wie konnten sie wissen, dass sie sich hier versteckte? Wieso gingen sie nicht davon aus, sie sei hineingegangen? Aber sie beachteten die Tür nicht.
Jetzt oder nie. Adrenalin schoss durch ihren Körper. Mit einem Satz sprang sie hinter dem Müllcontainer hervor und zielte wahllos auf ihre zwei Angreifer. Erschrocken über den Lärm des Schusses und die Wucht des Rückschlages taumelte sie ein paar Schritte rückwärts. Panisch feuerte sie noch zweimal schnell hintereinander. Diesmal traf sie. Einen in die Schulter, einen in die Seite. Es sickerte rot aus ihren Wunden , also hatte sie definitiv getroffen. Aber die Kerle hatten nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Verflucht! Panik wollte sie übermannen, doch sie würde nicht kampflos sterben. All ihren Mut zusammennehmend, warf sie ihre Waffe nach einem der Angreifer und rannte los. Sie rannte durch die Mitte der beiden und landete schmerzhaft auf ihren Knien. Schnell rappelte sie sich wieder auf und nutzte die wenigen Sekunden, in denen die beiden verwirrt stillstanden. Sie rannte um die Ecke der Bar, spürte allerdings sofort kalte, erbarmungslose Finger auf ihrer Schulter.
„Na, na, na. Wohin denn so eilig?“ Wie flüssiges Gift sickerte n die Worte in ihr Bewusstsein. Dann wurde sie jäh gepackt und zurück um die Ecke gerissen. Sie würde sterben. Hier. Jetzt. In einem kleinen, dreckigen Hinterhof.
*
„Was denkst du? Wird sie auftauchen?“
„Warum nicht“, antwortete Darian. Nachdem Callista und er ihre vermeintlich einzige Spur zu dem Orakel am Nachmittag nicht angetroffen hatten, saßen sie nun schon über eine Stunde im Auto vor der Bar , in der die Frau namens Kate arbeitete.
„Und wenn der Barkeeper sie gewarnt hat?“, fragte Callista.
„Ich dachte , du hörst die Telefonleitungen ab?“
„Ja. Trotzdem.“
„Er wird ihr kaum eine Brieftaube schicken.“ Darian wusste, dass er unwirsch reagierte, aber er war immer noch gereizt. Sie waren bei diesem Hank Johnson, dem Mann mit dem Ketchup Hemd und Besitzer des
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