Geliebter Krieger
dreihundertjährigen Leben hatte er schon viel gesehen, aber nichts hatte ihn bisher wirklich berührt.
In seinen jungen Jahren hatte er das Ende der Inquisition und der Hexen verfolgung mit eigenen Augen gesehen. Die Verbrennung von vermeintlichen Hexen war im achtzehnten Jahrhundert zwar schon so gut wie überall nicht mehr üblich, aber er erinnerte sich dennoch daran. Seine ersten einhundert fünfzig Jahre verbrachte er in Europa und hatte dort mehr Tod und Leid gesehen als in all den Jahren danach. Er hatte gesehen, wie Frauen und Kinder auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden, weil ihnen vorgeworfen wurde, im Pakt mit dem Teufel zu sein. Er wusste, dass es nicht stimmte. Natürlich waren sie alle Menschen, eine wahre Hexe wurde nie gefangen, geschweige denn verbrannt. Er sah , wie Menschen litten und andere triumphierten. Mörder, Vergewaltiger, Schänder. Er hatte alles gesehen. Anfangs mischte er sich noch in menschliche Belange ein, jung und idealistisch , wie er war. In seinen Gedanken sah er das Bild einer Frau. Sie lebte mit ihrem Sohn Anfang des neunzehnten Jahrhunderts im westlichen Frankreich. Ihr Mann war kein guter Mensch. Er schlug und vergewaltigte sie. Darian beobachtete dieses Geschehen eine Weile. Zugegeben , er hatte ein gewisses Interesse an der Frau gehabt , aber das trieb ihn nicht dazu, den Mann zu töten. Nein. Er mochte jung und dumm gewesen sein, aber niemals ohne Ehre. Er fing den Mann eines Abends ab und warnte ihn eindringlich, seine Frau und seinen Sohn nie wieder anzufassen. Es hatte Erfolg, der Mann ließ seine Frau fortan in Ruhe. Sie erstach ihn eines Morgens im Schlaf, genau wie ihren Sohn. Als Darian sie fragte, warum sie das getan hatte, lachte sie nur. Sie warf die immer noch blutbeschmierten Hände in die Höhe und lachte. Sie tanzte und freute sich , ihren Mann und seine Teufelsbrut endlich losgeworden zu sein. Und so lernte er, dass aus jedem Tyrannisierten irgendwann der Tyrann werden kann.
Menschen führten Kriege und töteten sich gegenseitig, doch solange seine eigene Art nicht betroffen war, hielten er und der Clan sich zurück. Er selbst wandelte schon oft genug auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Von zu vielen Kugeln durchsiebt oder sich einen Knochen zu oft gebrochen in einer Schlacht. Eine oder zwei Kugeln waren kein Problem, aber mehrere an den richtigen Stellen konnten durchaus gefährlich werden. In diesen Momenten, in denen er bis zu den Knien in den Eingeweiden seiner Feinde stand und der Boden aus einem Meer aus Blut bestand, verlor er niemals die Nerven oder wurde nervös. Er wurde wütend. Geriet in Rage. War nicht aufzuhalten. Aber niemals unsicher und nervös. Was dreihundert Jahre an Blut und Gewalt nicht schafften, schaffte eine kleine, braunhaarige, zarte Frau.
Sie machte ihn nervös. Diese Erkenntnis machte ihn anfangs fassungslos. Er war ein Krieger , und als sie ihn im Zimmer angesehen hatte und er ihre Blicke förmlich auf seinem Körper spüren konnte, lief er Gefahr , rot zu werden. Ein Krieger. Unfassbar. Sie hatte etwas an sich, was ihn auf eigenartige Weise berührte. Beschützen stand groß und breit auf seiner Fahne, aber nun ging es um mehr als seine Aufgabe als Drachenkrieger. Jetzt wurde es persönlich. Sie war taff und nicht auf den Mund gefallen. Womöglich war es allerdings nur ihre Art, die lähmende Angst zu vertuschen, die sie ohne Zweifel verspüren musste. Das hatte ab sofort ein Ende.
Wenn sie bei ihm war, waren die Wutausbrüche verschwunden. Er konnte sie stundenlang betrachten und spüren, wie eine innere Ruhe ihn überkam, dass er alles um sich herum vergessen konnte. Er wollte sie. Und genau da lag das Problem. Er sollte sie beschützen und sich nicht vorstellen, wie sich ihre Haut unter seinen Fingern anfühlte. Sie machte ihn schwach und seine Schwäche könnte ihr Tod sein. All das hatte er natürlich nicht den anderen erzählt. Mennox wollte sich noch am selben Abend mit allen treffen. Darian berichtete, dass er ihr die Grundzüge ihrer Welt erklärt hatte und sie tatsächlich noch ahnungslos war. Es war anstrengend, denn wie er feststellte, konnte er keine einzige Frage beantworten. Warum hatte sie keinen Wächter? Was geschah mit ihren Eltern? Wie stand sie zu dem Jungen? Details aus ihrer Vergangenheit. Sie brauchte Zeit, um einigermaßen Vertrauen zu fassen, hatte Darian ihnen gesagt. Er konnte sich nur schwer zurückhalten, als Venor vorschlug , sie selbst zu befragen. Venors Verhörmethoden waren
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