Geliebtes Landleben
Nicht früher... Verdammt noch mal, hörst du mich nicht?« Das
hieß, daß sich unsere schlimmsten Befürchtungen bewahrheiteten. Alister war auf
dem Weg und hatte, unbesorgt wie immer, von unterwegs in irgendeinem Postamt
angerufen — und natürlich mußte unsere Leitung gestört sein. Ich brachte eilig
das Essen auf den Tisch und versuchte verzweifelt, Paul durch Zeichen die
schlechte Nachricht zu übermitteln.
Aber er blieb gleichgültig und
wurde plötzlich außergewöhnlich gesprächig. Offensichtlich hatte er
Gewissensbisse, weil er seiner Schwester während ihres Besuches nicht mehr Zeit
gewidmet hatte, denn zu meinem äußersten Entsetzen hörte ich, wie er vorschlug,
sie solle mit ihm einen Spaziergang bis zur ersten Koppel machen, um seine
kräftigen Schafe anzusehen... Könnte ich ihn doch nur eine Minute lang allein
sprechen! Meine und Tonys Blicke fanden sich, sie stand schnell auf und
murmelte etwas von einer Gabel, die sie holen müsse. Aber ich wußte, daß sie
nur ihr Lachen verbergen wollte, und plötzlich war ich auf alle wütend; wütend
und teilnahmslos zugleich. Schließlich waren es nicht meine Verwandten, und
wenn sie sich nicht begegnen und anständig benehmen konnten, sollten sie eben
aufeinander losgehen; Paul, der Szenen haßte, konnte ja als Schiedsrichter
auftreten. Er war an allem schuld, denn er hatte vorgeschlagen, daß Claudia,
die sich für seine dummen Schafe überhaupt nicht interessierte, ihre Zeit an
einen Rundgang verschwenden sollte. Die Farmer sind doch alle gleich, dachte
ich. Wenn man nur von Schafen spricht, sind sie sofort entflammt. Paul, der
über den Liebreiz seiner Frau und seiner Kinder hinwegsehen konnte, war
entschlossen, mit seinen Schafen anzugeben, und Claudia war schrecklich gnädig,
versicherte ihm, daß sie gerne einen kleinen Spaziergang mache und es nicht so
fürchterlich eilig habe.
Tony war absolut keine Hilfe.
Statt daß sie sich irgendeinen Grund ausdachte, um diese Verzögerung zu
vermeiden, kämpfte sie mit unterdrücktem Lachen. Die Kinder waren nicht da, um
für Ablenkung zu sorgen, denn es war Montag, und die Schule hatte wieder
begonnen. Ich hatte sie an diesem Morgen gerne gehen sehen, denn irgend etwas
stimmte mit ihnen nicht, und Christopher hatte Patience mit seiner eigenen
Ungezogenheit angesteckt. Es war ein Kampf, daß sie sich in Claudias Gegenwart
anständig benahmen, denn sie war nicht gerade ein Kinderfreund, aber in diesem
Augenblick wünschte ich, sie wären zu Hause.
Hinter ihrer hysterischen
Belustigung entdeckte ich bei Tony echte Nervosität. Sobald das schrecklich
langweilige Essen vorbei war, eilte sie in die Küche, und ich schloß die Tür
hinter den plötzlich sich liebenden Geschwistern.
»Susan, schlimmer hätte es
nicht kommen können! Vater ist auf dem Weg.«
»Nimm es nicht so tragisch.
Warum hast du ihn nicht davon abgehalten?«
»Das habe ich versucht, aber
die Verbindung war gestört, und er konnte mich nicht verstehen.«
»Dann müssen sie sich damit
abfinden, daß sie sich treffen.«
»Aber du weißt ja gar nicht,
wie das ist.« Jetzt war es mit ihrer Beherrschung vorbei und sie war nur noch
ein armes kleines Mädchen. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn
deine Eltern aussehen, als haßten sie einander, und sich schreckliche Dinge an
den Kopf werfen«; jetzt war sie den Tränen nahe.
»Tony, sei nicht albern. Nimm
dich zusammen. Irgendwie muß man ihn zurückhalten können. Warum nehmen wir
nicht den Wagen und fangen ihn ab?«
»Das wollte ich versuchen, aber
er konnte mich nicht hören, so weiß ich nicht, welche Straße er nimmt. Oh, ich
darf gar nicht daran denken, wie der Arme glücklich dahinfährt und sich freut,
uns alle wiederzusehen, und dann — Mutter.«
Ich sagte nicht, daß dieses
Drama gar nicht nötig wäre, wenn sich der Arme etwas besser benommen hätte.
Statt dessen schlug ich vor, Tony solle an die Ecke gehen und auf ihn warten.
»Dann kann er den Wagen zum Wollschuppen fahren, und Claudia meint, er sei
irgendein Vertreter, der etwas verkaufen will. Da kann er sich hinsetzen und
warten, obwohl ich das absolut albern finde für zwei... « Aber Tony hörte sich
meine weisen Ratschläge nicht an; ohne ein weiteres Wort stürzte sie hinaus.
Inzwischen spielten Paul und
Claudia die große Liebe zwischen Bruder und Schwester, was mich mehr
beeindruckt hätte, wäre es etwas früher oder zu einem angemesseneren Zeitpunkt
geschehen.
Langsam schlenderten sie zur Koppel,
wo sich
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