Geliebtes Landleben
an?«
»Na ja, da ich sein vornehmes
Gesicht seit zwei Jahren nicht gesehen habe, spreche ich ihn überhaupt nicht
an. Mutter wollte mich dazu bringen, ihn >Vater< zu nennen, aber dafür
war ich nicht zu haben. Ich nannte ihn Professor und schnitt Grimassen hinter
seinem Rücken.«
»Was für ein dummes kleines
Mädchen du doch warst. Du wirst dich schon bald zu einem Besuch bei ihnen
aufraffen müssen. Es ist nicht richtig, daß du mit deinem Vater ’rumreist und
deine Mutter nie besuchst.«
»Warum sollte ich? Ich weiß,
ich habe gesagt, ich käme irgendwann, aber sie will mich eigentlich gar nicht.
In diesem vornehmen Haushalt bin ich ein schrecklicher Klotz am Bein, und
Robert kann ich nicht ausstehen.«
»Sprich nicht so von deinem
Bruder«, schimpfte ich, aber innerlich hatte ich Mitleid mit einem Mädchen, das
seine Mutter nicht liebte und sich mit ihrem einzigen Bruder nicht verstand.
Kein Wunder, daß Tony, die von Natur aus warmherzig und liebevoll war, sich in
unsere Arme geworfen und unser Leben so entschlossen angenommen hatte. Das war
ein Fehler, aber daran war ihr Leben schuld. Sie fuhr gelassen fort:
»Vermutlich muß ich eines Tages hingehen. Ich werde mit Vater darüber sprechen,
denn er wird meine Flugkarte zahlen und drei Tage später einen Rückflug buchen
müssen. Du brauchst mich gar nicht so anzusehen, Susan, denn du weißt genau,
daß dein Herz eigentlich für dieses arme Ding, für dieses ungewollte Kind
blutet.« Das kam der Wahrheit so unglücklich nahe, daß ich nur mitlachen
konnte.
Als sie das Zimmer verließ,
sagte sie plötzlich: »Was immer du tust, ich werde nicht zulassen, daß eure
berühmte Hinterlandsgastfreundschaft mit dir durchgeht und du Mutter
überredest, einen Tag länger zu bleiben. Du weißt, Vater steht plötzlich vor
der Tür, und ich könnte es einfach nicht ertragen, wenn sie zusammentreffen würden.«
Das schien mir alles
übertrieben dramatisch. Claudia und Alister waren beide hochgebildete und
intelligente Menschen. Aber als ich Paul von Tonys übertriebener Auffassung
erzählte, gab er ihr zu meinem Erstaunen recht.
»Ist schon besser, wenn sie sich
nicht treffen. Alister hat mir von der letzten Begegnung erzählt. Eine äußerst
unerfreuliche Szene. Natürlich lachte er darüber, aufgeregt hat er sich nur,
weil Tony, als er sich von ihr verabschieden wollte, auf ihrem Bett lag, sich
die Ohren zuhielt und in Tränen aufgelöst war. Das arme Kind, kein Wunder, daß
sie nicht gerade begeistert ist. Wir wollen ganz sicher keine Szenen hier
haben. Schlimm genug für Tony, daß sie Eltern hat, die einander hassen, ohne
daß sie auch noch öffentlich Krach anfangen.«
Tony mochte Paul einen Querkopf
nennen, aber in diesem Punkt stand er ganz auf ihrer Seite; Tante Kate auch.
Als ich vorschlug, sie hin und her zu fahren, um Mrs. Maclean zu sehen, lehnte
sie kurz aber scharf ab.
»Nein danke, Susan. Was ich
über diese Frau höre, gefällt mir nicht, und vielleicht kann ich meinen Mund
nicht halten, wenn wir uns treffen.«
»Sie ist ganz reizend, und
natürlich würden wir Larry zu Hause lassen.«
»Ich finde es nicht gerade
reizend, die eigene Tochter zu vernachlässigen.«
Damit war die Sache erledigt.
Schade; Tante Kate hätte so einen guten Eindruck für uns machen können.
Pauls Worte hatten mich
beeinflußt. Er regte sich nicht über Kleinigkeiten auf; wenn er meinte, das
Paar solle sich nicht treffen, so hatte er gute Gründe dafür. So unternahm ich
nichts, um meine Schwägerin zu überreden, als sie sagte, sie müsse am nächsten
Tag nach dem Mittagessen abreisen. Bei dieser Zusicherung wurde Tony, die sich
herabgelassen hatte, den freien Tag anzunehmen, den Miss Adams ihr anbot,
plötzlich äußerst hilfsbereit, packte die Koffer ihrer Mutter und fuhr ganz
eifrig schon vor dem Mittagessen ihren Wagen vor die Türe. Ich war dankbar
dafür, obwohl ich fand, daß der scheidende Gast allzu offensichtlich gedrängt
wurde.
Als wir gerade beim Mittagessen
saßen, klingelte das Telefon und brachte mir wie so manches Mal eine sonderbare
Vorahnung. Tony schien das auch zu spüren, denn sie lief schnell zum Apparat.
Glücklicherweise befand sich das Telefon in der Halle, so gut wie außer
Hörweite. Ich hörte nur ein unterdrücktes Lachen, als sie den Hörer abnahm;
dann streckte sie ihr Bein aus und gab der Tür einen Schubs.
Ich wußte, daß etwas nicht
stimmte, und als ich an ihr vorbei in die Küche ging, hörte ich sie sagen: »In
einer Stunde...
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