Gelöscht (German Edition)
die Straße hinunter. »Ich dachte, wir könnten noch ein bisschen herumfahren, damit wir Zeit haben, uns zu unterhalten.«
»Okay«, antworte ich und versuche, meine Anspannung zu verbergen. Er will mit mir sprechen, ohne dass Mum zuhört. »Ist alles in Ordnung? Ich dachte, du kommst erst am Sonntag zurück.«
»
Ich
sollte dich fragen, ob alles in Ordnung ist. Ich habe ein paar Dinge über dich erfahren, Kyla. Über dich und deinen Freund Ben.«
»Oh.«
»
Oh
. Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«
Sein Ton ist beiläufig und er lächelt freundlich, doch seine Worte sagen etwas anderes.
Sei vorsichtig
.
»Tut mir leid. Was meinst du?«
»Ich kaufe dir das nicht ab.«
»Was?«
»Den braven Blick aus großen Augen, das ganze Theater. Du bist irgendwie darin verwickelt. Deine Mutter hat mich davon überzeugt, es auf sich beruhen zu lassen. Dass es in meinem eigenen Interesse ist, nicht auffliegen zu lassen, dass du in meinen Augen irgendetwas angestellt haben musst. Und ehrlich gesagt, ist es mir egal, ob du dieses eine Mal damit durchkommen wirst. Aber es wird kein zweites Mal geben. Nicht in meinem Haus. Der Einfluss deiner Mutter hat seine Grenzen – es gibt Dinge, die sie nicht kontrollieren kann. Verstehst du das?«
Mir fallen Dutzende mögliche Reaktionen darauf ein. Ich könnte alle Anschuldigungen, die in seinen Worten verborgen sind, zurückweisen. Ich könnte die mit Mum abgesprochene Version der Geschichte wiederholen. Oder ich könnte heulen und so tun, als würde ich nicht wissen, wovon er überhaupt spricht.
»Ja, ich habe verstanden«, sage ich. Ich verschränke meine Hände fest ineinander, damit sie nicht zittern.
Nutz die Angst, füttere die Wut.
Dad nickt. »Das ist die einzige Antwort, die du mir geben konntest, damit ich nicht auf der Stelle umdrehe und dich zurückgebe.«
Er fährt schweigend weiter. Wir wenden auf der anderen Seite des Dorfes und er biegt in unsere Auffahrt ein. »Du bist viel zu clever. Pass auf, dass du keinen Ärger kriegst.«
Eine schlaflose Nacht folgt – zu viele Probleme gehen mir durch den Kopf und verlangen Aufmerksamkeit. Der Wecker für die Schule klingelt früh, aber es steht außer Frage, noch einen Tag zu Hause zu bleiben. Ein braver kleiner Slater würde das nicht tun, und man hat mir gesagt, dass ich mich von Ärger fernhalten soll. Aber wie bringe ich den heutigen Tag bloß hinter mich, wie kann ich normal sein und so tun, als wäre nichts geschehen?
Setz einen Fuß vor den anderen und mach einen Schritt nach dem nächsten.
Also stehe ich auf, ziehe die Schuluniform an und kämme meine Haare. Ich gebe vor zu frühstücken. Und warte im Nieselregen mit verschränkten Armen und zitternd vor Kälte auf den Bus. Auch heute fahre ich nicht mit Jazz und Amy, weil sie immer noch ihr Praktikum macht.
Als der Bus kommt, kann ich mich nicht überwinden, nach hinten zu Bens Platz zu gehen, also setze ich mich auf die einzige andere freie Bank. Wir haben schon die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als mir einfällt, dass das ursprünglich Phoebes Platz war. Ich bemerke ein paar spitze Blicke, die mir zeigen, dass es meinen Mitschülern nicht gefällt, dass ich hier sitze. Aber merkt überhaupt jemand, dass hinten ein geslateter Junge fehlt?
Während des Unterrichts und in den Pausen gibt es kein Geflüster wie nach Phoebes Verschwinden. Nicht dass ich die Frage nach Ben beantworten könnte, aber dass sie nicht gestellt wird, nagt an mir. Bemerken die anderen seine Abwesenheit nicht, ist es ihnen egal oder trauen sie sich nicht zu fragen?
Dann ist es so weit. Ich schleppe mich in den Bio-Unterricht. Vor dieser Stunde habe ich mich die ganze Zeit gefürchtet. Kein Ben neben mir auf der hintersten Bank und Hatten mit seinem wissenden Blick, der alle meine Schutzmechanismen aushebelt. Nachdem wir alle unsere Karten gescannt und uns gesetzt haben, steht er vorn auf. Heute trägt er ein dunkelblaues Hemd, das den blassen Farbton seiner blauen Augen betont. Hatten setzt sein langsames Lächeln auf – ein paar Mädchenseufzer folgen. Er beginnt die Stunde und unterbricht sie direkt wieder. Er sieht sich im Raum um.
»Fehlt heute jemand?«
Die Schüler wechseln vieldeutige Blicke und plötzlich verstehe ich: Sie wissen es. Sie haben verstanden, dass Ben nicht da ist, aber das Thema ist tabu. Niemand antwortet.
»Kommt schon«, sagt Hatten. »Ich habe in dieser Klasse erst zweimal unterrichtet, ich kann noch nicht alle Namen kennen. Wer fehlt?«
Sei
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