Gelöscht (German Edition)
nur ein Albtraum war oder die Sanitäter ihn einfach irgendwie wieder zusammengeflickt und zurück nach Hause gebracht haben.
»Heute möchte ich euch zu Beginn einen Gast vorstellen, der ein paar Worte sagen wird. Das ist Mr Fletcher.«
Mr
Fletcher, nicht
Agent
Fletcher.
Er steht auf und kommt zu Penny herüber. Die anderen erinnern sich an das, was man ihnen beigebracht hat, und begrüßen ihn pflichtschuldig. Ich denke gerade noch rechtzeitig daran, das Gleiche zu tun, um nicht aufzufallen. Als er unsere strahlenden Slater-Lächeln sieht, zuckt er unwillkürlich zusammen. Penny setzt sich.
»Ich möchte heute mit euch über Drogen sprechen.« Er hält einen langen Vortrag über die Gefahren von Drogen und darüber, dass wir niemals Pillen oder andere Medikamente einnehmen sollen, die uns nicht von einem Arzt verschrieben wurden. Und falls uns jemals derartige Dinge von Fremden oder Bekannten angeboten würden, sollten wir dies unverzüglich unseren Eltern oder einem Lehrer sagen. Fletchers Augen wandern von einem Slater zum nächsten. Er ist nicht wegen dieser Warnung hier, sondern er hält Aussschau nach jemandem, der eine auffällige Reaktion auf seine Worte zeigt. Er sucht nach jemandem, der weiß, wo Ben seine Happy Pills herhatte. Ich sehe, dass er sich zur Abwechslung bemüht, nicht Furcht einflößend zu wirken, aber das gelingt ihm nicht besonders gut. Viele Lächeln verblassen nach und nach, als er die grauenhaften Folgen des Drogenmissbrauchs beschreibt.
Ben sagte, dass die Happy Pills dafür sorgen, dass er eigenständig denken kann, ohne dass das Levo ihm dazwischenfunkt.
Und genau das haben sie auch getan
. Ist das so grauenhaft?
Fletcher beendet seinen Vortrag, und als er sich verabschiedet, spiegelt sich Erleichterung auf seinem Gesicht. Er sieht aus, als hielte er uns für ansteckend. Pennys anfängliche Anspannung lässt nach, ihre Gesichtszüge werden weicher und ihr natürliches Lächeln kehrt zurück, aber ihre Augen bleiben traurig. Sie weiß irgendwas über Ben. Es muss einfach so sein.
Als die Gruppe vorbei ist, bleibe ich noch, bis die anderen weg sind. Ich gehe zu Penny. »Kann ich mit dir sprechen?«
»Klar, Liebes«, sagt sie, aber ihr Blick ist eindringlich. Sie schüttelt kaum merklich den Kopf.
Nein
. »Ich muss sowieso dein Levo kontrollieren. Ich habe gehört, du hattest letzte Woche einen Blackout.«
Sie scannt mein Levo und plappert dabei endlos über das Wetter. Irgendetwas stimmt nicht.
Sie lädt die Daten auf ihr Netbook und erschrickt. »Kyla, schau dir die Kurve an: 2,1. Du warst gefährlich weit unten.« Ich blicke nun ebenfalls auf den Bildschirm und sehe, was sie nicht laut aussprechen will: In den letzten beiden Tagen war mein Level die meiste Zeit zwischen 3 und 4. Jetzt gerade ist es immer noch bei 7,1 – eine Nachwirkung vom Laufen.
Penny hält meine Hand und schüttelt traurig den Kopf. »Was ist passiert?« Aber sie legt eine Hand an ihr Ohr und schüttelt erneut leicht den Kopf.
Irgendjemand belauscht uns.
Ich nicke und forme mit den Lippen das Wort »verstehe«. Dann erzähle ich ihr die Geschichte, die auch schon die Lorder zu hören bekommen haben: dass Ben nicht in der Schule war, Jazz mich hingefahren hat und dort Krankenwagen vor der Einfahrt standen, aber ich nicht weiß, was mit Ben passiert ist.
»Kyla, Liebes, du vergisst Ben besser. Er kommt nicht zurück, denk einfach nicht mehr an ihn. Konzentrier dich auf deine Familie und darauf, in der Schule weiterzukommen.« Obwohl Penny mir diesen Rat gibt, sind ihre Augen traurig, und sie legt einen Arm um meine Schultern. Ich spüre, wie mir wieder Tränen in die Augen steigen.
Finde die Wut.
Ein Luftzug geht durch den Raum – ein kühler Hauch, der dafür sorgt, dass sich die Haare auf meinen Armen aufstellen – und ich drehe mich zur Tür. Intuitiv rechne ich damit, dass Fletcher wieder zurückgekommen ist. Stattdessen erwartet mich eine Überraschung.
»Dad?«
»Hi, Kyla. Hi, Penny. Bist du fertig?« Er lächelt, aber ich bin nicht beruhigt. Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit ich neulich nachts seinen Wagen vor dem Haus bemerkt habe. Wenn ich den Ton seiner kurzen Unterhaltung mit Mum richtig gedeutet habe, hatte er in jener Nacht sehr schlechte Laune, aber am Morgen war er schon wieder verschwunden. Ich stehe auf und gehe Richtung Tür.
»Pass auf dich auf, Kyla«, sagt Penny.
»Danke.«
Wir steigen in Dads Auto, doch anstatt nach links zu unserem Haus abzubiegen, fahren wir rechts
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