Gelöscht (German Edition)
auch die Zeichnung von ihrem Sohn Robert gefunden haben muss. Sie fragt sich sicher, woher ich weiß, wie er aussieht. Woher ich überhaupt von ihm weiß.
Schützt sie mich? Oder traut sie mir vielleicht nicht? Sie hat mein Zimmer durchsucht, um sicherzugehen, dass die Lorder nichts finden können, das mich belastet.
Was würde sie denken, wenn sie wüsste, dass alles nur passiert ist, weil ich Ben mit zu Mac genommen habe, wo er Aiden getroffen und die Pillen bekommen hat? Dass er durch mich überhaupt erst auf die Idee gekommen ist, sein Levo zu entfernen. Was würde sie machen, wenn sie wüsste, dass ich diejenige war, die sein Levo mit einer Flex durchtrennt hat?
Spät in der Nacht höre ich ein Auto und frage mich, ob die Lorder zurückgekommen sind. Aber als ich aus dem Bett steige, um nachzusehen, erkenne ich Dads Wagen in der Einfahrt. Er sollte eigentlich erst in ein paar Tagen wiederkommen. Unten sind Stimmen zu hören. Dad klingt sehr wütend.
Doch als ich am nächsten Morgen aufwache, ist er schon wieder verschwunden.
Mum entschuldigt mich für ein paar Tage vom Unterricht, bis ich nicht mehr untätig in meinem Zimmer sitzen und von meinen Gedanken erdrückt werden und weinen will, während Mum oder Sebastian mich mit Umarmungen und Katzenliebe zu trösten versuchen. Amy schließt sich ihnen an, als sie von ihrem Praktikum nach Hause kommt. Sie versuchen alles, damit der Wert meines Levos nicht zu tief sinkt. Doch körperlich geht es mir gut, abgesehen von dem dumpfen Pochen hinter meinen Schläfen. Ich könnte zur Schule gehen, wenn der Gedanke an Ben mich nicht innerlich zerreißen würde. Aber die ganze Zuwendung von Mum und Amy bringt nichts – ich habe sein Bild ununterbrochen vor Augen. Das Einzige, was hilft, ist an Aiden zu denken.
Je mehr ich mich damit beschäftige, desto stärker mache ich ihn verantwortlich für dieses ganze Drama. Genauso wie Mac, der uns Aiden überhaupt erst vorgestellt hat. Und auch Jazz, weil er Macs Cousin ist. Ohne Amy würde ich Jazz nicht kennen, und Amy und ich wären nicht hier, wenn es Mum nicht gäbe. Stück für Stück wächst meine Wut, und ich nage an ihr wie an Zahnschmerzen, für die es weit und breit keinen Arzt gibt. Ich brauche diese Wut. Sie treibt mich schließlich aus dem Bett und sorgt dafür, dass ich mich anziehe. Ich laufe schnell die Treppe hinunter, um unbemerkt aus dem Haus zu fliehen.
»Kyla? Was hast du vor?«
Ich blicke auf, während ich meine Laufschuhe zubinde. »Wonach sieht’s denn aus? Heute Abend ist Gruppe, oder?«
»Ich bin mir nicht sicher, ob du schon aufstehen solltest.«
»Meinst du nicht, es wäre besser, wenn ich mich dort blicken lasse?«
Sie überlegt einen Moment und nickt dann leicht. »Wenn du es schaffst, dich normal zu verhalten, solltest du hingehen. Ich fahre dich.«
»Nein, ich möchte laufen.«
»Du bist noch nicht fit genug, um joggen zu gehen. Dein Blackout ist noch keine Woche her.« Sie hat ihre Arme verschränkt und ihr Blick ist entschlossen.
Sag mir den Grund oder du gehst nirgendwohin.
Ich atme langsam ein und aus, bevor ich ihren Blick erwidere. »Körperlich geht es mir gut: Vielleicht bin ich noch nicht zu hundert Prozent fit, aber das Joggen hilft mir, mein Level zu halten. Es ist nicht so, als würde ich laufen wollen – ich
muss
es einfach tun. Verstehst du?«
Mum beißt sich unsicher auf die Lippe. »Aber ganz allein?«
»Ich komme klar, wirklich. Ich bleibe auf der Hauptstraße, da kann mir nichts passieren. Versprochen.«
Sie gibt nach. »Also gut. Aber ich hole dich später ab – abgemacht?«
»Abgemacht.«
Sie umarmt mich fest, dann öffne ich die Tür und renne los.
Es wäre vernünftig, langsam anzufangen, mich nach und nach vorzuarbeiten und zu sehen, wie gut ich klarkomme. Mein Kopf pocht bei jedem Schritt und ich habe nicht viel gegessen in letzter Zeit. Aber ich lege meine ganze Energie in meinen Lauf und steigere mein Tempo, bis ich wie von allein laufe. Plötzlich ist der Schmerz in meinem Kopf wie weggeblasen. Der Abend, die Straße, das
Poch-poch
meiner Füße ist alles, was ich wahrnehme.
Aber das Geräusch bringt Erinnerungen mit sich. Diese Strecke bin ich das letzte Mal mit Ben gelaufen und sein Laufrhythmus hat sich meinem angeglichen. Ich stolpere, als ich an dem Weg vorbeilaufe, den Ben und ich immer eingeschlagen haben. Wo wir ungestört waren und er mich zum ersten Mal an der Mauer geküsst hat.
Jetzt, beim Laufen, kann ich endlich über meinen Traum
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