Gelöscht (German Edition)
kurzfristig in die Stundenpläne einzubauen.« Sie seufzt. »Setz dich.« Sie deutet auf einen Stuhl, steht auf und verschwindet mit dem Ordner in der Hand durch eine andere Tür.
Ich nehme Platz.
Und so geht es den ganzen Tag über. Ich komme überhaupt nicht aus dieser Unit heraus. Ich sitze auf Stühlen. Hin und wieder kommt jemand und sagt Hallo. Jemand teilt mir mit, dass ich am nächsten Tag durch die Schule geführt werde und ein paar Tests ablegen muss, und zeigt mir, wo das Klo ist. Ich werde zum Mittagessen in einen Raum gebracht, wo ich in der Gesellschaft von ein paar anderen Slatern meine Sandwichs esse, die mir Mum mitgegeben hat. Die anderen hier sind alle jünger als ich. Sie lächeln und kauen seelenruhig vor sich hin – genau wie die friedliche Kuhherde, an der wir heute Morgen vorbeigefahren sind.
Keine Spur von Amy oder Ben.
Kaum ein Gesprächsversuch mit den namenlosen Lehrassistenten – LA –, die an den Tischenden sitzen und uns beobachten und belauschen.
Am Nachmittag bekomme ich ein Buch mit der Geschichte der Lord William’s School in die Hände gedrückt. Mum hatte sie Lord Bill’s genannt. Die Schule ist alt – und zwar richtig alt: 1559 gegründet, also bald 500 Jahre. Zuerst war es eine Jungenschule, später wurde in gemischten Klassen unterrichtet. Es gab mal eine Autismus-Unit – bevor die Krankheit geheilt wurde. Bin ich jetzt dort gelandet? Die Schule war nach den Aufständen fünf Jahre lang geschlossen, vor 20 Jahren wurde sie dann mit großem Tamtam von der Zentralkoalition wiedereröffnet, mit einem erweiterten Gelände und einer Laufbahn. Jetzt ist die Lord William’s School ein spezielles Landwirtschafts-College – wie die meisten weiterführenden Schulen.
Amy und Jazz holen mich am Ende des Tages ab. Ich lächle Jazz erleichtert an: keine Rückfahrt im Bus.
»Und? Wie war’s?«, will Amy wissen.
Ich zucke mit den Schultern. »Langweilig. Ich habe den ganzen Tag nur rumgesessen und darauf gewartet, dass etwas passiert.«
Jazz lacht. »Willkommen in der Schule.«
Über einen Weg zwischen den Backsteingebäuden kommen wir zum Parkplatz, wo Jazz zielstrebig auf einen verbeulten Zweitürer zusteuert. Er ist größtenteils rot, aber hier und da ist der Lack mit anderen Farben übermalt worden.
Ich fasse an den Türgriff und bin mir sicher, dass ich wieder irgendetwas falsch mache.
»Darf ich? Das ist ein bisschen schwierig.« Jazz zieht an der Klinke, stemmt ein Bein gegen die Seite des Autos und reißt mit aller Kraft an der Tür.
Amy drückt den Vordersitz runter, während ich nach hinten klettere und mich frage, ob das Ganze so eine gute Idee ist.
»Wo ist der Gurt?«
»Es gibt keinen, er ist kaputt. Halt dich einfach fest«, sagt Jazz.
Das erweist sich als guter Rat, denn Jazz rast die Straße hinunter und bremst an der Ecke abrupt ab. Ich falle nach vorn und klammere mich an Amys Sitz. Die Gangschaltung röhrt lautstark und wir schaukeln weiter. Ich bin noch nicht in vielen Autos mitgefahren, also ist mein Urteil vielleicht nicht fair. Aber Slater-Hasser hin oder her – ich glaube, ich nehme in Zukunft lieber den Bus.
Jazz biegt von der Straße ab, nimmt eine gewundene Nebenstraße und bremst den Wagen schließlich vor einem einsamen Haus mit großer Auffahrt ab.
»Wir müssen Kyla bald nach Hause bringen«, sagt Amy. »Mum geht erst morgen wieder arbeiten.«
»Kein Problem«, erwidert Jazz und reißt die Autotür wieder auf. »Wir sind eh schneller als der Bus.«
Amy und ich steigen aus.
»Wir besuchen nur kurz meinen Kussi«, erklärt Jazz mir.
»Cousin«, übersetzt Amy.
Jazz klopft und öffnet die Tür. »Mac, bist du zu Hause?«, ruft er, läuft durch die Küche und öffnet die Hintertür. Wir folgen ihm.
»Ja. Nehmt euch was zu trinken und kommt rüber«, antwortet eine Stimme.
Jazz kehrt um, öffnet einen Schrank und holt drei Flaschen heraus. »Kommt mit«, sagt er.
Zusammen gehen wir in den Garten. Zumindest dachte ich, dass sich hinter dem Haus einer befindet. Aber hier ist nichts grün, kein Gras, keine Bäume, keine Blumen. Überall liegen Autoteile herum. Mac schiebt sich gerade unter einer rostigen Karosserie hervor und Jazz stellt uns vor.
»Mac hat mein Auto aus Teilen verschiedener anderer Autos zusammengeschraubt«, erklärt er. »Willst du was trinken?« Er hält mir eine Flasche hin. Ohne Etikett.
»Hast du schon mal Bier getrunken?«, fragt Amy, und ich bemerke, dass sie selbst keines nimmt.
»Nein.«
»Willst du
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