Gelöscht (German Edition)
in Bewegung. Wir erreichen den Kamm. Auf der Gegenfahrbahn der M25 steht der Verkehr. Wir quälen uns vorwärts und halten wieder. Ein Schwarm von schwarz gekleideten Männern hält auf beiden Seiten Autos an und durchsucht sie. Wir werden durchgewinkt.
»Wer sind die?«
»Lorder«, sagt Amy.
Ich schaue durch die Heckscheibe, um noch einen Blick auf sie zu werfen. Sie tragen keine grauen Anzüge wie die Lorder auf der Landwirtschaftsausstellung und in der Aula, sondern schwarze Hosen und lange schwarze Hemden mit einer Art Weste darüber. Sie sind genauso gekleidet wie die Krankenhauswachen. Bedeutet das also, dass auch sie Lorder sind?
»Was sind Lorder eigentlich?«
Mum dreht sich mit gehobenen Augenbrauen zu mir um. »Na ja, du weißt schon, das ist die Abkürzung für
Law and Order Agents
– sie sorgen für Recht und Ordnung und verfolgen Gangs und Terroristen. Sie suchen offenbar gerade jemanden.«
Den müssen sie aber wirklich dringend finden wollen, wenn sie jedes Auto auf der Autobahn anhalten und durchsuchen …
»Das sind die Gleichen wie die Männer mit den grauen Anzügen bei der Show und in der Schule?«, will ich wissen.
»Ja, ich habe zwar keine Ahnung warum, doch sie waren bei der Show. Normalerweise tragen sie graue Anzüge, nur ihre Einsatzkleidung ist schwarz. Heutzutage sind das in erster Linie Einsätze zur Terrorismusbekämpfung. Früher waren es die Gangs. Aber sind wirklich Lorder bei euch an der Schule gewesen?«, fragt Mum und runzelt besorgt die Stirn. »Amy, stimmt das?«
Amy nickt. »Manchmal kommen sie zu den Versammlungen. Sie sind nicht immer da, nur hin und wieder. In letzter Zeit häufiger.«
Zu unserer Linken erstrecken sich Felder, dahinter sehe ich bewaldete Hügel. Ich nehme eine Bewegung in der Ferne wahr – ein leichter Blitz, als ob sich die Sonne in Glas oder Metall gebrochen hätte.
»Da oben ist jemand«, sage ich.
»Wo?«, fragt Mum.
»In diesem Waldstück.« Ich deute nach links. »Ich habe etwas aufblitzen sehen.«
»Bist du dir sicher?«
»Ja.«
Mum holt wieder ihr Mobiltelefon hervor, aber im selben Moment erscheint ein Hubschrauber über der Stelle, auf die ich gezeigt habe, und Männer rennen über die Felder zu der Baumgruppe.
Mum schaut hoch und legt ihr Handy weg.
Rat-a-tat-tat
dröhnt es bis zu uns herüber.
»Was tun sie da?« Meine Augen weiten sich. »Schießen die auf jemanden?«
»Eine blitzende Zielscheibe.« Amy schnieft. »Sie wollen Freiheit oder sterben? Dann heißt es jetzt wohl sterben.«
Der Stau löst sich bald danach auf und Mum ruft im Krankenhaus an, um Bescheid zu geben, dass wir uns verspäten.
Wir nehmen den gleichen Weg zum New London Hospital, auf dem wir schon vor fast zwei Wochen gefahren sind – alles baut sich in umgekehrter Reihenfolge vor meinen Augen auf. Die Randbezirke versinken wieder im Verkehrschaos und den Menschenmassen. Büros und Wohnungen wimmeln vor Leben. Je näher wir unserem Ziel kommen, desto mehr Wachen stehen schwarz gekleidet an den Ecken: Lorder. Die Massen scheinen sich vor ihnen zu teilen, als wären sie umgeben von einer unsichtbaren Blase, die nicht berührt werden darf.
Gerade als die Wachtürme des Krankenhauses in Sichtweite kommen, erreichen wir eine Straßensperre, an der noch mehr Lorder warten. Wir stehen in der Schlange zwischen einem LKW und einem Bus und ich muss immer an meinen Traum denken: ein Pfeifen, ein Blitz, eine Explosion. Mein Blick schießt nach links und rechts, findet aber nichts Verdächtiges. Die Männer durchsuchen sämtliche Autos. Wir arbeiten uns zentimeterweise vorwärts. Aber dann winken sie uns – genau wie auf der Autobahn – einfach weiter, ohne dass wir anhalten müssen. Diesmal merke ich, dass die Lorder zu Mum schauen, dann ihre linke Schulter mit ihrer rechten Hand berühren und uns daraufhin die Handfläche zeigen.
»Warum halten sie uns nicht auf wie alle anderen auch?«, frage ich.
»Manchmal ist es ziemlich praktisch, die Tochter meines Vaters zu sein«, sagt Mum, und ich erinnere mich an
Wam the Man,
der die Gangs zerschlagen hat, die das Land vor fast 30 Jahren terrorisiert haben. »Manchmal auch nicht«, fügt Mum noch hinzu, aber so leise, dass ich es kaum hören kann.
»Was meinst du damit?«
»Musst du so viele Fragen stellen?« Dann seufzt sie. »Sorry, Kyla. Wir können ein andermal darüber sprechen, okay?«
»Warum spielst du in deinen Träumen Verstecken?« Dr. Lysander lehnt sich zurück und verschränkt die Arme vor der
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