Gemischte Gefühle
Straßencafes klapperte das Geschirr, Sonnenbrillengirls in freakigen Gewändern wandelten vorbei, sahen und wurden gesehen. Ein Feuerschlucker hatte seinen ersten Auftritt, musikalisch begleitet von einer One-Man-Band. Aus der Open-Air-Disco um die Ecke hörte man die neuesten Hits.
Es war genau die Stimmung, die für diesen Urlaubstyp richtig war. Wir hatten gute Arbeit geleistet. Ich sah mich um. Auch die Überwachungskameras waren hervorragend eingepaßt. Keiner, der nichts von ihnen wußte, würde sie bemerken. Wirklich perfekt.
Als ich meine Tennistasche lässig auf den Beifahrersitz des Elektro-Moke warf, hatte ich ein gutes Gefühl.
Langsam steuerte ich den sonnenblumengelben Mini-Jeep mit dem bunten Sonnendach aus Leinen durch das fröhliche Gewimmel. Ab und zu sprangen ein paar braungebrannte, lachende Gestalten auf und ließen sich ein Stück mitnehmen. Dabei ließen sie ihre üblichen Sprüche los.
„Na, Chris, fährst du wieder die Mädels betreuen?“ – „Hey, Rossi, du hast’s gut. Arbeitest das ganze Jahr hier.“ – „Ich werd auch Social Relations Manager. Was macht man da eigentlich?“ – „Der kümmert sich persönlich um die einsamen Teenies, die noch keinen mitgekriegt haben.“ – „Wow! Gibt’s da Abschußprämien?“
Ein munteres Völkchen. Manchmal kam ich mir doch ein bißchen zu alt für sie vor. Sie waren so albern, immer kurz vor dem Abheben.
Dann hatte ich die Grenze erreicht. Ich wurde endlich meine lautstarken Reisegenossen los, denn sie hatten natürlich keinen Passierschein. Das konnten sie sich noch nicht leisten.
STOP! SIE VERLASSEN DEN IBIZA-URLAUBSSEKTOR!
Ein Grenzposten lehnte gelangweilt am Schlagbaum neben dem Hinweisschild. Eine Gruppe von älteren Weltreisenden, die er gerade abgefertigt hatte, startete mit ihrem feuerroten Elektro-Moke ins Niemandsland. Sie würden knapp 250 km auf ihrer Weltreise zurücklegen. Das war der Umfang der gesamten Insel.
NACH TAHITI 5 KM stand auf dem Wegweiser. Darunter stand ROM 55 KM.
AIRPORT 110 KM.
TWICKENHAM IN THE WILLOWS 40 KM.
LIBERTY CLUB 85 KM.
BAGDAO 70 KM.
OLD SOUTH 15 KM.
CHINATOWN & HARBOUR 100 KM.
Das war unsere ganze Westentaschenwelt. Eine ziemlich wüste Ansammlung unterschiedlichster Erlebnisbereiche, nur für den Urlaub geschaffen.
„Tag, Mister Rossi“, sagte der Grenzposten und legte etwas Dynamik in seine Haltung. Schließlich war ich ein hohes Tier.
„Tag, Robert. Ruhiger Tag heute, wie?“
„Wie man’s nimmt. Hier an der Grenze ist nie viel los.“ Er streckte die Hand aus. „Unterwegs nach Tahiti?“
Ich gab ihm meine Code-Karte. „Ja, und dann noch weiter die Küste hinauf. Bis nach Twickenham.“
Er schob die Karte in den Daten-Terminal neben der Schranke. Meine Ausreise wurde registriert. Jeder, der sich auf Holiday World von einer Urlaubsregion in eine andere bewegte, wurde registriert.
Bitte denken Sie daran, daß Sie sich nur in dem Urlaubssektor aufhalten können, den Sie auch gebucht haben. Das Erlebnisangebot anderer Urlaubssektoren können Sie nur gegen Vorlage eines gültigen Passierscheines in Anspruch nehmen. Weltreisende haben freie Fahrt. Über Anschlußbuchungen berät Sie jeder Informations-Terminal, das Zwei-Weg-Fernsehprogramm auf Kanal 10 und jeder unserer freundlichen Mitarbeiter. Wir danken für Ihr Verständnis.
Das Hinweisschild stand diskret, aber unübersehbar am Schlagbaum. Ein Pfeil zeigte auf ein einladendes, weißgekalktes Häuschen, über dessen Eingang stand: HIER ANSCHLUSSBUCHUNGEN. In der Kühle eines schattenspendenden Vordaches flimmerte eine Monitorwand, auf der die Werbefilme für die anderen Urlaubssektoren abliefen.
Für den Fall, daß jemand nicht nachbuchen wollte und auch nicht das Verständnis aufbrachte, auf das die Hinweistafel hoffte, standen einige Happy Helpers bereit, um einen unerlaubten Grenzübertritt zu verhindern.
Manche bezeichnen die Happy Helpers als unsere Ferienpolizei. Ich finde das zu kraß. In der Praxis sind das einfach freundliche Helfer, psychologisch geschult und umgänglich, die für das erforderliche Mindestmaß an Ordnung in unserem Ferienparadies sorgen.
„Sir?“
Er wedelte mit der Code-Karte vor meinem Gesicht herum.
Ich nickte ihm einen flüchtigen Dank zu, während ich die Karte wieder an mich nahm, und huschte mit meinem E-Moke in das Urwalddickicht des Niemandslandes. Jetzt brauchte ich nur noch die richtige Musik. Ich schob eine Cassette rein. Die Synthesizerklänge von Jean-Michel Jarres
Weitere Kostenlose Bücher