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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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nach rechts, das Gleiche, Beine anheben, da geht die Hüfte mit, weil alles brettsteif ist, siehst du? Und runter damit.« Zeitgleich mit seinen Kommandos bewegte er den Toten. Er war in der Tat steif. Und schwer. Zweimal entglitt er Viktor, der nicht so entschieden zupackte wie sein Onkel. Mit einem harten Geräusch, das Viktor schuldbewusst zusammenzucken ließ, schlug er jedes Mal auf dem Tisch auf. Wolfgang Anders kommentierte das mit keiner Miene. Und Viktor begriff: Rainer Bulhaupt würde nicht mehr ›Aua‹ schreien. Und es würde wohl auch keine Blutergüsse geben.
    Langsam begann sich ein dezenter Geruch auszubreiten. »Das«, meinte sein Onkel, »erledigen wir nachher mit der Handdusche. Viktor?«
    Der starrte unverwandt auf das bloßliegende Geschlecht des Toten. Es war so überraschend groß und dunkel im Vergleich zu dem wachsgelben Leib, dass es wie ein Fremdkörper wirkte, eine zerflossene lilafarbene Qualle, die sich dort niedergelassen hatte. Das also wurde daraus. Ernüchternd.
    »Was?«, murmelte er.
    »Den Pullover«, kommandierte sein Onkel. Viktor holte tief Luft, widerstand dem Impuls, sich zu kratzen, und nickte.
    Im Hintergrund hörte er seinen Cousin vor sich hin singen. »You can leave your hat on.«
    »Wie soll das gehen?«, fragte er, als er festgestellt hatte, dass die Arme des Toten genauso steif waren wie die Beine. Dort hatte sich das als Vorteil erwiesen; mit dem Anheben der Schenkel hatte sich auch das Gesäß von der Unterlage gelöst und ihnen so die Arbeit erleichtert. Aber hier? »Jetzt doch mit der Schere?«
    »Gymnastik«, befand sein Onkel. »Nimm das Handgelenk, ja, so, und drück mit der anderen Hand auf die Schulter, die muss unten bleiben. Und jetzt mit Schwung, gleichzeitig!« Er hob den Arm des Toten hoch, dass es knackte, und bewegte ihn ein paarmal wie einen Pumpenschwengel auf und ab. »Schräg über den Brustkorb.« Er machte es vor. »Das lockert die Gelenke. Und jetzt dasselbe mit dem Ellenbogen. Halt fest und heb den Unterarm.«
    »Und eins und zwei«, motivierte Viktor sich. Diese Sorte Aerobic zeigten sie nie im Frühstücksfernsehen. Es krachte.
    »Ich sagte lockern, nicht brechen.«
    »Ist nicht, glaube ich.« Auf Viktors Stirn trat Schweiß.
    Sein Onkel schnalzte missbilligend mit der Zunge. Mit schnellen Schritten ging er hinüber und tastete den kalten Arm ab. »Na, er wird vermutlich eh einen Anzug tragen«, meinte er schließlich.
    Viktor nickte. Sein Cousin sang noch immer. Hatte er sich verhört, oder war es diesmal ›We want to break free‹? Wollte der sie verarschen? Argwöhnisch wandte er sich um.
    Aber Tobias saß wie zuvor in seiner seltsam verkrümmten, tief vorgeneigten Haltung da und sortierte seine Stifte in die Fächer. Er schien nichts von seiner Umwelt wahrzunehmen.
    »Jetzt so, und so«, demonstrierte der Onkel weiter. »Und dann hebst du den Oberkörper an, und ich ziehe alles mit einem Griff drüber, verstanden?« Viktor nickte. Im selben Moment klingelte Onkel Wolfgangs Handy. Er nahm es, warf einen Blick auf das Display und runzelte die Stirn.
    »Meinst du, du schaffst das alleine?«, fragte er. »Wenn nicht, nimmst du doch die Schere. Ich bin gleich wieder zurück.« Er nahm den Anruf im Hinausgehen entgegen. »Anders und Anders Bestattungsinstitut. Sie sprechen mit Wolfgang Anders?« Seine Stimme entfernte sich.

6
    Viktor biss die Zähne zusammen und beschloss, ohne die Hilfe der Schere auszukommen. Das musste doch zu machen sein. Also, wie war das noch gleich? Er hob einen Arm des Leichnams und versuchte, den Oberkörper halb herumzurollen. Dann griff er dem Toten in den Nacken, um ihn anzuheben. Verflucht, war der schwer. Ein Torso wie aus Stein. Viktor bemühte sich um Halt, indem er den Fuß auf eine Querstrebe der Liege stemmte und den Ellenbogen auf dem eigenen Oberschenkel abstützte. Aber der sicher geglaubte Tritt wich klickend nach unten weg. Verdammt, er hatte die Wegrollbremse gelöst. Sofort flutschte die Liege von ihm fort, und der Oberkörper der Leiche hing zwischen ihm und der Aluliege in der Luft. Viktor ächzte. Wie schwer der Mann doch war, dabei hatte er so hager ausgesehen. Wie sollte er ihn jetzt nur zurück auf den Tisch bekommen?
    Zweimal versuchte er, ihn mit einem kraftvollen Ruck hochzuhieven, beide Male rollte die Aluliege in die Gegenrichtung davon, und er war keinen Schritt weiter. Im Gegenteil, noch mehr Erschütterungen, und der Leichnam würde endgültig herunterrutschen und auf dem Boden liegen.

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