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Gemordet wird immer

Gemordet wird immer

Titel: Gemordet wird immer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Korber
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Ein schönes Schauspiel für Onkel Wolfgang! Vorsichtig versuchte Viktor, die Liege so zu manövrieren, dass sie gegen die Wand stieß und er endlich einen Widerstand bekam. Es war Knochenarbeit, und er fürchtete, dass jeden Moment Onkel Wolfgang zurückkommen und ihn in dieser höchst peinlichen Situation ertappen würde. Der Gedanke und die Anstrengung ließen sein Gesicht rot anlaufen. Er schaute sich nach seinem Cousin um. »Du könntest mir echt mal helfen.«
    Viktor streckte die Hand in Tobias’ Richtung aus und klopfte gegen dessen Arbeitstisch. »Hallo, hörst du mir zu?« Ein paar Schminkstifte gerieten in Bewegung und rollten über die Arbeitsplatte. Mit einem Schrei fuhr Tobias auf. Er schlug erst halbherzig nach seinem erschrockenen Cousin, dann klopfte er sich mit den flachen Händen auf den Kopf, eine Geste, die Viktor schon bei Schimpansen gesehen hatte. Dazu stieß er ein entsprechendes Geheul aus. Endlich hatte er sich so weit beruhigt, dass er sich darum kümmern konnte, die von Viktor gestörte Ordnung wiederherzustellen. Ungelenk ging er in die Knie und suchte unter dem Tisch nach den fehlenden Stiften. »Das darf er nicht, das darf er nicht.« Tobias murmelte eifrig vor sich hin.
    »Idiot«, presste Viktor hervor, der unter dem Gewicht des Toten zu ächzen begann. »Du brauchst doch nur kurz zuzupacken. Hier.«
    »Ich versteck mich in der Uhr.« Tobias rollte sich unter dem Tisch zusammen. »Und dann verstecke ich mich in der Uhr. Und als ich mich versteckte, hat er mich nicht gefunden. Ich verstecke mich, weil er mich gefunden hat.«
    »Du bist echt eine tolle Hilfe.« Viktor mühte sich mit dem Toten ab, dessen Hüfte nun von der Liege zu rutschen drohte. Er konnte es gerade noch verhindern, indem er sein ganzes Gewicht dagegenstemmte. »Mich hier hängen zu lassen ist nicht …« Er blies den Atem aus. »… sehr …« Er zählte innerlich bis drei und holte Schwung. »… nett.« Das letzte Wort brach aus ihm heraus. Der Tote krachte wieder auf die Liege.
    »Gegen die Wand werfen, gegen die Wand, dann ist er nett«, erklang es unter dem Tisch.
    »Gegen die Wand, so ein Blödsinn.« Viktor wischte sich den Schweiß von der Stirn. Kondenswasser, dachte er unwillkürlich. Der Erfolg hatte ihn nur wenig milder gestimmt. »Es reicht ja wohl, dass er mir fast auf den Boden geknallt ist.«
    »Ist er nett?«, wiederholte Tobias alarmiert.
    »Nett?« Viktor schüttelte den Kopf. »Wenn du mich meinst, mir vergeht die Lust dazu mit jeder Sekunde.«
    Er griff zur Schere und setzte sie am Ärmel des Pullovers an. »Danke auch für die Hilfe«, sagte er noch, rief sich dann aber selbst zur Ordnung. Die nächsten Sekunden war nichts zu hören als das scharfe Schnappen der Schere durch Stoff.
    Tobias kehrte zu seinen Stiften zurück, während er alle denkbaren Varianten von »Ist nicht gefährlich, weil es nicht gefährlich ist, denn es ist gefährlich, und da war es gefährlich« durchdeklinierte.
    »Schon gut, schon gut«, unterbrach Viktor ihn. »Du brauchst nichts zu machen. Versteck dich ruhig in deiner Uhr.« Im selben Moment fiel es ihm ein: Das jüngste der sieben Geißlein hatte sich vor dem Wolf in der Uhr versteckt. Er sah die Illustration zu der Geschichte deutlich vor sich; sie hatten als Kinder ein dickes Märchenbuch besessen mit Bildern, die er während der vielen Male, die man ihnen vorgelesen hatte, immer wieder eingehend betrachtet und sie sich so unvergesslich eingeprägt hatte. Wie viele Abende hatten sie auf der Hollywoodschaukel gesessen, Melanie, Rolf, er selber, das eine oder andere Nachbarkind und – er schluckte schwer – Hannah, seine Schwester. Einen Moment lang starrte er ins Leere. Dann holte Tobias’ Gemurmel ihn wieder zurück in die Gegenwart.
    Mit einem Mal stimmte der Anblick seines Cousins ihn milde. Sein wirrer Haarschopf war stumpf und struppig, aber vom selben Schwarz wie ihre Haare es gewesen waren. Einen Moment lang war er versucht hindurchzustreichen, doch er fürchtete, es könnte Tobias veranlassen, sich wieder »in der Uhr zu verkriechen.« Viktor zweifelte nicht daran, dass Tante Hedwig ihrem Jüngsten die Geschichte ebenfalls vorgelesen hatte.
    »Du bist gar nicht so blöde, stimmt’s?«, fragte er sanft und wandte sich wieder seinem Toten zu, der mit zerschnittenen Kleidern auf ihn wartete. Er griff zur Schere und trennte auch den zweiten Ärmel bis zur Schulter auf.
    »Helfen ist gar nicht gefährlich«, sagte er beiläufig. Und hatte damit offenbar

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