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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Blech
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einen winzigen Teil der erblichen Veranlagung erklären. Beispiel Fettsucht: Auf der unermüdlichen Suche nach dem vermeintlichen Dickmacher-Gen haben Forscher das Erbgut von Menschen europäischer Abkunft untersucht, und zwar an 350   000 verschiedenen Abschnitten. [8] Das Ergebnis: Zwei Gene (das
fto
-Gen und das
mc
4
r
-Gen) scheinen in Varianten vorzukommen, die mit einem leicht höheren Körpergewicht zusammenhängen. Wer beide der Varianten trägt, dessen Body-Mass-Index ist statistisch gesehen geringfügig erhöht: um den Wert 1 , 17 . Doch nur ein Prozent der Bevölkerung trägt beide »Risiko-Varianten«. Zusammengenommen erklären das
fto
-Gen und das
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4
r
-Gen weniger als zwei Prozent des erblichen Anteils von Übergewicht.
    Nicht aufzutreiben sind die biologischen Faktoren für die Körpergröße. Große Eltern bekommen große Kinder, kleine Eltern bekommen kleine Kinder. Der erbliche Anteil des Körperwuchses liegt bei 80 bis 90  Prozent. Wenn zwischen den größten und kleinsten Mitgliedern einer Gesellschaft dreißig Zentimeter liegen, dann ist die Genetik also für 27  Zentimeter zuständig. Doch die 50 bisher bekannten genetischen Varianten, die mit der Körpergröße zusammenhängen, erklären nur etwa fünf Prozent des genetischen Anteils an der Körpergröße. Womöglich beeinflussen viele tausend genetische Varianten, wie groß ein Mensch wird – von
einem
Gen für Körperwuchs könnte also keine Rede sein.
    Diese Ergebnisse stehen in einem merkwürdigen Widerspruch zu den Jubelmeldungen über die Entdeckung immer neuer Krankheitsgene, die wir im Wochentakt zu hören bekommen. Doch hinter vorgehaltener Hand wird das Problem der fehlenden Erblichkeit eingeräumt, es treibt viele Genjäger zur Verzweiflung, weil es offenbart, wie sehr sie die Macht der Gene überschätzt haben. Zerknirscht fragen sie sich: Wenn die Gesundheit und das Verhalten des Menschen genetisch vorbestimmt sind, warum finden wir diese Gene dann nicht? In der auf Konferenzen üblichen englischen Sprache ist das Phänomen der fehlenden Erblichkeit schon zu einem geflügelten Wort geworden:
missing heritability problem
.
    Gentests ohne klinischen Nutzen
    Einer der Wissenschaftler, der den Finger in die Wunde legt, ist der Genetiker David Goldstein von der Duke University in Durham (North Carolina). Der Lockenkopf, der an diesem heißen Apriltag in Flipflops über den Campus läuft, hat selber Studien an tausenden Patienten durchgeführt – und kaum etwas gefunden. »Nachdem wir umfassende Studien zu häufigen Krankheiten gemacht haben, können wir den genetischen Anteil dieser Leiden nur zu ein paar Prozent erklären«, sagt Goldstein, der das Center for Human Genome Variation leitet. Während etliche seiner Kollegen angesichts dieser katastrophalen Bilanz herumdrucksen, redet Genetiker Goldstein Klartext. Das ganze Gewese um die personalisierte Medizin, genetische Risikoprofile und maßgeschneiderte Medikamente sei nichts anderes als Wunschdenken.
    In deutlichen Worten warnt Goldstein vor Gentests, die angeblich das allgemeine Risikoprofil ermitteln und mit diesem Angebot verstärkt auf den Massenmarkt drängen. Einer der Anbieter ist das Unternehmen 23 andMe mit Sitz in Kalifornien. Wer der Firma 399  Dollar zahlt, darf eine Speichelprobe einschicken und kann schon wenig später sein genetisches Profil auf einer Internet-Seite einsehen. Das Problem ist nur: Der Test erfasst ebenjene genetischen Assoziationen, deren Aussagekraft so erstaunlich gering ist. Goldstein verzieht das Gesicht. »Für mich ist das reines Entertainment, weil es derzeit aus dem Angebot dieser Genom-Firmen nichts gibt, was ich für klinisch verwendbar hielte«, sagt er und fügt hinzu: »Glauben Sie nur ja nicht, dass Sie mit einem solchen Test etwas tun, das wichtig für Ihre Gesundheit wäre!«
    Das Schicksal liegt nicht in den Genen
    Im Science-Fiction-Film
Gattaca
aus dem Jahr 1997 entscheidet ein Gentest gleich nach der Geburt über die Zukunft der Menschen. Binnen Sekunden wird das komplette Erbgut eines Kindes entziffert; das Risiko für Dutzende von Anlagen flammt auf einem Bildschirm auf. Nur Menschen mit einwandfreiem Erbgut dürfen sozial aufsteigen. Mittlerweile ist ein Teil der Fiktion Realität geworden: Es ist möglich, das vollständige Erbgut eines Menschen zu entziffern (auch wenn es derzeit noch einige Wochen dauert). Weniger als 100   000   US -Dollar verlangt die Firma Knome in Boston für den Service, den sie von einem

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