Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
wären, kann man bei Thomas Hobbes nachlesen: Der Kampf aller gegen aller, der zu wechselseitiger Vernichtung führt. Keine schönen Aussichten.
Und auch wenn der Patenonkel des Nachbarfreundes seine Ansprüche gegen die Wohlhabenden dieser Gesellschaft für berechtigt hält, die er mit individuellem Zwang durchsetzen will – die Gegenseite folgt derselben Logik, sodass die Wohlhabenden mit derselben Begründung ihre gewaltbereite Verteidigung organisieren werden. Was sie ja bereits tun, indem sie sich zunehmend in abgeriegelte Wohnviertel zurückziehen. Noch sind die nur von Zäunen umgeben. Ich möchte auf den nächsten Sankt-Martins-Umzug weder eine Waffe mitnehmen noch eine Bürgerwehr organisieren noch mein Kind anschließend ins Krankenhaus begleiten müssen. Und ist Gewalt nicht immer Ausdruck einer Kapitulation? Wendet Gewalt nicht an, wer keinerlei andere Handlungsmöglichkeiten mehr wahrzunehmen in der Lage ist, wer sich ohnmächtig fühlt, sich als macht- und hilflos erlebt?
Andererseits: Haben wir denn andere Handlungsmöglichkeiten? Man muss dem Vorschlag des Patenonkels zugutehalten, dass er realistisch ist in Bezug auf die friedliche Lösung des sich verschärfenden Verteilungskonflikts. Wer Privilegien besitzt, wird sie kaum freiwillig hergeben. Ich glaube nicht, dass beispielsweise Silke nach der Lektüre dieses Buches ihren Mercedes-SUV der Arbeitslosenhilfe schenken und mir eine Dankesmail schreiben wird, weil ich zu ihrer Seelenrettung beigetragen habe. Sie wird weiterhin glauben, dass sie ihre Villa, ihre Autos, ihren Schlangenledergürtel und ihr Ferienhaus rechtmäßig verdient hat. Dass ihr Mann eben klüger, fleißiger, geschickter ist als der Rest der Welt. Dass die anderen einfach nur neidisch und missgünstig sind und dass die vielen Hartz-IV-Empfänger den Sozialstaat durch das betrügerische Erschleichen unrechtmäßiger Vergünstigungen ausbluten – und nicht ihr Mann und seine Steueroase. Vielleicht hat Silke als mentales Rüstzeug das radikalliberale Magazin ef abonniert, das die freiheitliche Gegenwehr gegen unseren »sozialistischen« Staat propagiert. Da stehen dann Sätze zu lesen wie: »Es gibt immer zwei Wege: Sozialismus oder Eigentum, Politik oder Freiheit. Wir sind auf dem besten Wege in den totalitären Sozialismus. Skurrilerweise wird uns dabei täglich ein Gespenst des ›Neoliberalismus‹ an die Wand gemalt, das allenfalls in den Köpfen der Staatsverdienerklasse existiert. eigentümlich frei steht auf der Seite der freiheitlichen Gegenwehr. ef zeigt auf, inwiefern Staatsprofiteure und ihre willfährigen Medien den ehrlich arbeitenden Bürgern viel mehr schaden als nutzen.« 163
163 http://ef-magazin.de/web43/?gclid=CIH1iqvT-awCFcNI3godt03xTg (11.12.2011)
Noch nie in der Geschichte hat irgendjemand Privilegien freiwillig hergegeben. Die Sklaven haben sich ihre Befreiung erkämpft. Die Frauen haben ihre Rechte erkämpft. Und auch die 40-Stunden-Woche ist nicht vom Himmel gefallen. In einem Radiogespräch mit dem ORF brachte der österreichische Schriftsteller Robert Menasse das im Oktober 2004 so auf den Punkt: »Wenn man Manchester-Kapitalisten gefragt hätte, ›Sag einmal, mein lieber Unternehmer, was brauchst du, um den Standort hier zu halten und wettbewerbsfähig zu sein?‹, hätte er geantwortet: ›Kinderarbeit, Zwölfstundentag, ganz klar – wenn ich das nicht habe, bin ich nicht wettbewerbsfähig.‹«
Dass die Schere zwischen Arm und Reich sich öffnet, bedeutet eben nicht nur, dass es sehr vielen Leuten schlechter geht. Es bedeutet auch, dass es ziemlich vielen Leuten besser geht. Wer zu den Gewinnern gehört, zieht den Lauf der Geschichte kaum in Zweifel. Bei dem kann man nicht anklopfen und einwenden, »Maserati-Fahren ist unmoralisch«, und erwarten, dass er auf die U-Bahn umsteigt.
»Das Leben ist kein bunter Teller«, hat Harald Welzer an dem Abend in der kleinen, rot gestrichenen Bar zu mir gesagt. Stéphane Hessel rät zur Empörung. Und auch ich selbst habe den Eindruck, dass die Zeit der Nettigkeiten vorbei ist. Wenn sich etwas ändern soll, muss man ein paar Leuten ordentlich vors Schienbein treten. Allerdings habe ich darin keine Erfahrung. Ich bin in den Achtzigern groß geworden. Da ging es uns gut. Da reichte es, sich »zu engagieren«. Für andere. Für Kröten, Sandinisten und sozial Benachteiligte. Diese Art von Engagement hatte mehr mit der Armenfürsorge aus dem 19. Jahrhundert zu tun als mit einem politischen Kampf. Weil es mehr
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