Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
persönliches Glück haben, mir selbst geht es ja auch gut.«
Die große Rentenreform von 1957 nahm dann auch die in den Blick, die von der steigenden Lohnentwicklung ausgeschlossen blieben: die Alten. Gegen nicht unbeträchtliche Widerstände von Ludwig Erhard und seiner eigenen Partei setzte Kanzler Konrad Adenauer diese Reform durch – für Stephan Lessenich ist diese Rentenreform die eigentliche Geburt des westdeutschen Sozialstaats: Bei der Rentenreform 1957 ging es darum, den Wohlstand zu demokratisieren, also auf breite Bevölkerungsschichten auszudehnen, vor allem auf die nicht mehr Erwerbstätigen. Allerdings mit dieser typisch deutschen Besonderheit, bestehende Ungleichheiten nicht anzutasten: »Es gibt wenige Rentensysteme, die in so einer starken Weise wie das deutsche den Erwerbsstatus in den Nacherwerbsstatus übertragen und damit die Ungleichheiten vor der Rente weiterschreiben für die Zeit nach der Rente.« Also: Keine »Flatrate-Rente«, sondern schön ordentlich eine, die nach Einkommen abgestuft ist.
Deshalb gilt für Deutschland nach dem Krieg: Die grundsätzliche soziale Ungleichheit blieb bestehen, aber Deutschlands Mitte rundete sich zu einem Wohlstandsbauch. Der Historiker Tony Judt beschreibt diese Zeit so: »Die Jahre 1945 bis 1975 wurden weithin als Wunder angesehen. Zwei Generationen – jene, die den Zweiten Weltkrieg erlebt hatten, und ihre Kinder, die späteren Achtundsechziger – genossen sichere Arbeitsplätze und Aufstiegsmöglichkeiten in beispiellosem (und einmaligem) Ausmaß. Das kriegszerstörte Deutschland stieg dank seines Wirtschaftswunders innerhalb einer Generation zur reichsten Nation Europas auf. In Frankreich sollten diese Jahre einmal (ganz ernsthaft) als ›Les Trentes Glorieuses‹ bezeichnet werden«, 22 die glorreichen dreißig Jahre.
22 Tony Judt: Dem Land geht es schlecht, S. 49 f.
Ja, ich sehe jetzt schon das ironische Grinsen der »Alte-Sack-Fraktion« vor mir, mit der ich lange in einer politischen Redaktion zusammengearbeitet habe. Nostalgie an sich ist ihnen verdächtig, und die Verherrlichung der fünfziger und sechziger Jahre erst recht. Immerhin sind sie in ihnen aufgewachsen und haben gegen wieder in Amt und Würden gesetzte Nazis, Kuppelei-Paragrafen und tausendjährigen Muff gekämpft. Auch Stephan Lessenich hält diese Rückschau auf den deutschen Sozialstaat für ziemlich euphorisch und beschönigend. Und zwar eben deshalb, weil es eine Rückschau rein aus der Mittelschichtsperspektive ist. Dass es in dem angeblichen Wohlstandsparadies immer Arme und Ausgeschlossene gegeben hat, blendet diese Perspektive aus. »Durch diese Mittelschichtszentrierung gerade des deutschen Sozialstaates waren die Ränder immer prekärer als diese Mitte abgesichert.«
Was auch ausgeblendet wird, ist die Tatsache, dass das Wachstum, auf dem der Wohlstand beruhte, nicht nachhaltig war. Zum einen, weil dieses Wachstum nur zu Lasten anderer Länder möglich war. Davor, sagt Stephan Lessenich, verschließen wir strukturell die Augen: dass unser im historischen Vergleich unglaublicher Wohlstand mit der Armut in anderen Ländern erkauft ist, dass unsere Wirtschaftsweise Millionen Menschen hungern lässt. Zum anderen entstand und entsteht dieses Wachstum auf Kosten der Umwelt. Fossile Energiequellen waren damals der Motor und sind es bis heute: Kohle, Gas und Öl. Der Wohlstand entstand durch den rasanten Verbrauch der naturgegebenen Gemeingüter – Artenvielfalt, Boden, Klima, Luft, Rohstoff, Wasser. 23
23 Gerhard Scherhorn: Die Politik entkam der Wachstumsfalle, S. 66
Mir geht es hier allerdings auch nicht um eine prinzipiell nostalgische Rückschau der fünfziger bis siebziger Jahre.
Mir geht es um den »sozialen Kompromiss«, der in dieser Zeit ausgebaut wurde. Die Ungleichheit blieb zwar bestehen, wurde aber auf erträgliches Maß reguliert. Und zwar, indem die prinzipielle Unsicherheit der Arbeitnehmer abgemildert wurde, unter anderem durch »ein wachstumsabhängiges Einkommen, das nicht unter den Sozialhilfesatz rutscht, ein Arbeitsrecht, das der Arbeitgeberwillkür zunehmend Grenzen setzt, ein soziales Netz, das bei den hauptsächlichen Wechselfällen des Lebens wie Krankheiten, Unfällen oder Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess (Ruhestand) schützt«. 24
24 Robert Castel: Die Krise der Arbeit, S. 15
Diese Errungenschaften der dreißig goldenen Jahre kann vielleicht tatsächlich nur in vollem Umfang schätzen, wer die schwarzen Jahre davor miterlebt hat. Wie
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