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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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Dann kommen die Gerichtsvollzieher ins Büro, setzen die leeren Flaschen und das bekotzte Fax auf ihre Liste, und er kann nach einer gewissen Zeit von vorne anfangen. Zwar ist die Situation in letzter Zeit etwas unübersichtlicher geworden, weil die Staatsbank ihre eigenen Ganoven hat, aber im Grunde läuft alles wie gehabt.«
    »Aha«, sagte Tatarski versonnen. »Ich verstehe bloß nicht, was das Ganze mit Werbung zu tun hat.«
    »Das ist der springende Punkt. Wenn, sagen wir, die Hälfte vom Smirnoff oder vom Absolut noch da ist, und der Jeep fährt noch, und der Tod ist ein fernes und abstraktes Ding, geschieht im Kopf des Menschen, der das alles eingerührt hat, eine eigenartige chemische Reaktion. In ihm erwacht ein unermeßlicher Größenwahn, und er bestellt einen Werbespot. Wobei der Spot unbedingt geiler sein muß als alles, was die anderen Idioten zu bieten haben, das ist Bedingung. Geldmäßig geht dafür rund ein Drittel des Kredits drauf. Psychologisch leuchtet einem das vollkommen ein: Wenn einer schon seine kleine Firma Everest gegründet hat, will er sein hübsches Logo auch im Fernsehen sehen, und zwar im Ersten Programm, zwischen BMW – und Coca-Cola-Werbung, dafür tut er sonstwas. Und in dem Moment, wo im Kopf des Kunden die Reaktion abläuft, stehen wir bei ihm auf der Matte.«
    Das Wörtchen »wir« hörte Tatarski mit Freuden.
    »Die Situation ist die«, fuhr Morkowin in seinen Erläuterungen fort. »Studios, die solche Filmehen drehen, gibt es etliche. Die suchen immer nach fähigen Skriptschreibern, denn von denen hängt heutzutage alles ab. Der Job läuft so, daß die Leute vom Studio einen Kunden aufgabeln, der sich im Fernsehen vorführen möchte. Den guckst du dir an. Er redet was. Du hörst zu. Dann schreibst du das Treatment. Meistens nicht mehr als eine Seite, die Spots sind ja kurz. Das kann dich zwei Minuten kosten, aber du läßt dich frühestens nach einer Woche wieder bei ihm sehen – er soll annehmen, du wärst die ganze Zeit im Zimmer auf und ab gerannt, die Hände vor den Kopf geschlagen, und hättest gebrütet. Er liest, was du aufgeschrieben hast, und je nachdem, ob ihm das Treatment gefällt oder nicht, bestellt er den Film bei deinen Leuten oder geht woandershin. Deswegen bist du für das Studio, das dich engagiert hat, der allerwichtigste Mann. Mit dir steht und fällt der Auftrag. Und wenn du es schaffst, den Kunden zu hypnotisieren, kriegst du zehn Prozent vom Endpreis.«
    »Und was kostet so ein Film?«
    »Normalerweise zwischen fünfzehn – und dreißigtausend. Sagen wir, zwanzig im Schnitt.«
    »Zwanzig was?« fragte Tatarski zweifelnd.
    »Ach, du lieber Gott. Nicht Rubel natürlich. Zwanzigtausend Dollar.«
    Tatarski benötigte keine Sekunde, um auszurechnen, wieviel zehn Prozent von zwanzigtausend waren, er schluckte und warf Morkowin einen Hundeblick zu.
    »Das bleibt natürlich nicht lange so«, meinte Morkowin. »Laß ein, zwei Jahre vergehen, dann sieht die Sache völlig anders aus. Anstatt daß die Leute für jeden Wichs einen lächerlichen Kredit aufnehmen, lassen sie sich Millionen Grüne aufs Mal vorschießen. Anstatt daß sie Jeeps gegen Laternenpfähle setzen, haben sie Schlösser in Frankreich und Inseln im Pazifik. Und anstatt Freibeuter gibt es seriöse Büros. Aber dem Wesen nach passiert in diesem schönen Land immer ein und dasselbe. Und darum ändert sich das Prinzip unserer Tätigkeit niemals.«
    »Mein Gott«, sagte Tatarski. »So viel Geld. Das macht einem beinahe angst.«
    »Die alte Dostojewskische Frage!« Morkowin lachte. »Bin ich eine zitternde Kreatur, oder habe ich Ansprüche?«
    »Sieht so aus, als hättest du darauf eine Antwort.«
    »Ja«, sagte Morkowin. »Sieht ganz so aus.«
    »Und die wäre?«
    »Ganz einfach. Eine Kreatur mit unveräußerlichen Ansprüchen. Und mit Geld in der Tasche. Apropos, soll ich dir was borgen? Du siehst irgendwie verwahrlost aus. Kannst es mir ja wiedergeben, wenn‘s mal besser läuft.«
    »Danke, vorläufig hab ich noch«, sagte Tatarski.
    Am nächsten Tag lotste Morkowin Tatarski an einen recht merkwürdigen Ort. Draft Podium stand auf dem Schild. (Nach kurzem Kopfzerbrechen gab Tatarski den Versuch auf dahinterzusteigen, was der Name bedeuten mochte.) Draft Podium befand sich im Keller eines alten Backsteingebäudes in Zentrumsnähe. Durch eine schwere Stahltür gelangte man in ein mit Technik vollgestopftes Kämmerchen. Ein paar junge Männer erwarteten ihn. Sergej, ein unrasierter Bursche, der

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