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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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erneuern und zu vervollkommnen man ungefähr zu dem Zeitpunkt begonnen hatte, als Tatarski das Institut zu wechseln beschloß, erneuerte und vervollkommnete sich so sehr, daß sie zu existieren aufhörte. (Wenn es möglich war, daß ein Staat ins Nirwana fallen konnte, so war dieser Fall eingetreten.) Folglich war auch an Nachdichtungen aus den Sprachen der Völker der UdSSR nicht mehr zu denken. Dies war ein Schlag – Tatarski steckte ihn weg. Es blieb ihm ja noch der Dienst an der Ewigkeit, und mit dem hatte er genug zu tun.
    Und da geschah das Unvorhersehbare. Auch mit der Ewigkeit, welcher Tatarski seine Werke und Tage zu widmen entschieden hatte, ging etwas vor. Das konnte Tatarski nun gar nicht verstehen. War denn die Ewigkeit nicht die unverrückbare, unabhängig von jeglichen temporären irdischen Konstellationen existierende Konstante? Und den kleinen Pasternak-Band zum Beispiel, da er einmal in die Ewigkeit Eingang gefunden und sein, Tatarskis, Leben verändert hatte, konnte doch wohl keine Macht auf Erden aus dieser Ewigkeit wieder herauskicken? So hatte er gedacht.
    Doch Tatarski mußte erfahren, daß dem nicht so war. Er mußte erfahren, daß die Ewigkeit nur so lange existierte, wie er fest an sie glaubte – jenseits dieses Glaubens gab es sie im Grunde nicht. Um fest an die Ewigkeit zu glauben, mußten andere dasein, die diesen Glauben teilten – denn ein Glaube, den man mit niemandem teilt, heißt Schizophrenie. Diesen anderen aber (und allen voran jenen, die ihn an der Ewigkeit Maß zu nehmen gelehrt hatten) widerfuhr Seltsames.
    Nicht, daß sie ihre früheren Anschauungen revidiert hätten, nein. Der Raum selbst, auf den diese früheren Anschauungen hinausliefen (denn Anschauungen haben es an sich, daß sie auf irgend etwas hinauslaufen), schrumpfte und verblaßte, bis von ihm nur mehr ein mikroskopisch kleines Fliegenpünktchen auf der Windschutzscheibe des Verstandes übrigblieb. Darum herum tauchten gänzlich andere Landschaften auf.
    Tatarski versuchte sich zu widersetzen, so zu tun, als sei in Wirklichkeit nichts geschehen. Zunächst schien dies zu glücken. Im engen Zirkel Gleichgesinnter konnte man die Illusion eine Weile pflegen. Das Ende kam unversehens.
    Einmal beim Spazierengehen blieb Tatarski vor einem Schuhgeschäft stehen, das gerade Mittagspause hatte. Hinter dem Schaufenster, auf das die Sonne knallte, sah er die liebreizende dicke Gestalt der Verkäuferin vorbeischwimmen, die er insgeheim sogleich Mariechen taufte; und dann sah er zwischen all der bunten türkischen Ramschware ein Paar Schuhe stehen, das unzweifelhaft noch aus Vorwendezeiten stammte.
    Tatarski erkannte es augenblicklich wieder, und das Gefühl, das er dabei empfand, saß tief. Die Schuhe waren spitz und mit hohen Absätzen. Aus gutem Leder gefertigt, gelblichbraun, mit hellblauem Faden abgesteppt und mit großen goldenen Broschen in Harfenform verziert. Sie geschmacklos oder vulgär zu nennen traf es nicht. Deutlich verkörperten sie das, was ein ewig beschwipster Dozent für Sowjetliteratur am Institut, frei nach Schiller, »lebendige sowjetische Geschtalt« zu nennen beliebte; es war so kläglich und komisch und anrührend (die Harfen vor allem), daß Tatarski die Tränen kamen. Auf den Schuhen lag eine dicke Staubschicht – man sah, sie waren der Epoche zu nichts nütze.
    Tatarski, der wußte, daß auch er der Epoche zu nichts nütze war, hatte sich bislang mit diesem Wissen abzufinden und gar eine bittersüße Freude aus ihm zu ziehen vermocht. Hierfür lieferten Marina Zwetajewas Verse den Schlüssel:
    Die in der Läden Staub verloren scheinen
(Wo niemand sie gekauft hat, niemand kauft)
Für meine Verse wie für alte Weine
Kommt noch die Zeit herauf.
    Und wenn in diesem Gefühl etwas Erniedrigendes lag, dann weniger für ihn als für seine Umgebung. Doch nun, da er, ohne sich zu rühren, vor dem Schaufenster stand, begriff er mit einemmal, daß er nicht als alter Wein unter diesem Himmel verstaubte, sondern als Schuh mit Harfenschnalle. Und er begriff noch etwas: Die Ewigkeit, an die er früher so felsenfest geglaubt hatte, konnte nur existieren, solange sie vom Staat gestützt wurde – oder von ihm verboten war, was auf das gleiche herauskam. Und sie überlebte allenfalls in der verschwommenen Form, in der sie im Kopf dieser oder jener Schuhverkäuferin abgelagert war. Der man nämlich – wie im übrigen auch ihm – diese zweifelhafte Ewigkeit im Dreierpack mit Naturkunde und anorganischer Chemie

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