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Generation P

Generation P

Titel: Generation P Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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will. Aber es fällt auf, daß wir hier schon zu lange von Affen reden – dabei wollten wir einen Menschen suchen.
    Als Babilen Tatarski geboren wurde, lag jener historische Sieg des Roten über das Rote noch in ferner Zukunft. Darum gehörte er automatisch und ohne es die längste Zeit zu ahnen zur Generation P. Hätte ihm seinerzeit irgendwer auf den Kopf zugesagt: »Wenn du einmal groß bist, wirst du Copywriter!« – ihm wäre vor Verblüffung die Cola-Flasche aus der Hand gerutscht und auf die heißen Kiesel des Pionierlagerstrands geknallt. In jenen Tagen hatten die Kinder gefälligst noch dem blitzenden Helm des Feuerwehrmannes oder dem weißen Kittel des Arztes entgegenzueifern. Da war schon das harmlose Wort Designer ein verdächtiger Neologismus, dem hehren Russischen behelfsweise und im Rahmen eines linguistischen Kontingents implantiert, bevor sich die internationale Lage zum erstenmal ernsthaft verschärfte.
    Verdächtig und seltsam war in jenen Tagen so manches – in der Sprache wie überhaupt im Leben. Das fing schon beim Namen an. Babilen war eine künstliche Paarung aus Jewgeni Jew-tuschenkos Enthüllungsgedicht Babi Jar und Lenin. Tatarski hatte ihn seinem Vater zu verdanken, in dessen Gemüt der Glaube an den Kommunismus und die romantisch-hemdsärmeligen Ideale der Sechziger einhergingen: Sich einen wackeren Leninisten vorzustellen, der Jewtuschenkos lyrischem Werk mit Freuden die Botschaft entnimmt, es habe sich beim Marxismus ursprünglich um ein Synonym für die freie Liebe gehandelt, oder aber einen mit allen Wassern des Jazz gewaschenen Ästheten, den ein besonders vertrackter Riff auf dem Saxophon zu der Erleuchtung führt, daß der Kommunismus siegen wird – dies war für Tatarskis Vater anscheinend kein Problem gewesen. Und nicht nur für ihn, solcherart war die ganze Sowjetgeneration der Fünfziger und Sechziger beschaffen, die der Welt eine neue Spezies, den Liedermacher, geschenkt und den ersten Sputnik ins schwarze All ejakuliert hatte: das vierschwänzige Spermatozoon einer dann doch nicht eingetretenen Zukunft.
    Tatarski schämte sich seines Namens außerordentlich. Den Freunden log er später in die Tasche, sein Vater sei auf den Namen verfallen, weil er sich für fernöstliche Mystik begeistert und also die Stadt Babylon im Sinn gehabt habe, das alte Babel, dessen geheime Überlieferung ihm, Babilen, somit in die Wiege gelegt sei. Und Jewtuschenko mit Lenin in einen Topf geschmissen habe sein Vater deshalb, weil er dem Manichäismus und der Naturphilosophie angehangen und seine Pflicht darin gesehen habe, zwischen dem Lichten und dem Dunklen einen Ausgleich zu schaffen. Ungeachtet dieser glänzenden Herleitung verlor Tatarski, als er achtzehn war, mit Vergnügen seinen ersten Personalausweis; der zweite wurde ihm auf den Namen Wladimir ausgestellt.
    Danach schien sein Leben in ganz normale Bahnen zu geraten: Er nahm ein Studium an einer technischen Fachschule auf. Nicht, daß ihm die Technik (seine Spezialrichtung waren irgendwelche Elektroschmelzöfen) besonders am Herzen gelegen hätte – er wollte nur nicht zur Armee. Mit einundzwanzig jedoch gab ihm das Schicksal einen Fingerzeig.
    Es war Sommer, er machte Ferien auf dem Land und las ein Bändchen mit Gedichten von Boris Pasternak. Bis dahin hatte er sich nie viel aus Versen gemacht – die hier erschütterten ihn in einem Maße, daß er Wochen hindurch an nichts anderes denken konnte und schließlich selbst welche zu schreiben anfing. Das rostige Skelett eines Autobusses, das da mit eingesunkenem Heck irgendwo in der Moskauer Provinz am Waldrand stand, würde er für immer in Erinnerung behalten, denn daneben hatte er gesessen, als ihm die erste Gedichtzeile seines Lebens einfiel: Sardinenwolken südwärts schwärmen. (Später fand er, daß das ganze Gedicht nach Fisch stank.) Kurzum, ein typischer Fall, der sein typisches Ende nahm – Tatarski wechselte an das Literaturinstitut. Allerdings schaffte er es nicht bis in die Lyrikklasse, sondern mußte mit Nachdichtungen aus den Sprachen der Völker der UdSSR vorliebnehmen. Dies war die Zukunft, die Tatarski sich ungefähr auszumalen hatte: tagsüber im leeren Seminarraum des »Litinstituts« sitzen, vor sich Rohübersetzungen aus dem Usbekischen oder Kirgisischen, aus denen termingemäß Reime zu schmieden waren; abends dichten für die Ewigkeit.
    Dann ging still und leise etwas vor sich, was seine Zukunft wiederum maßgeblich beeinflussen sollte. Die UdSSR, die zu

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