Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
hatte die KI gerade eine Frage gestellt?
»Waren Teile meiner Berechnungen unzureichend?«, fragte Jeremie aufmerksam und wartete auf eine Antwort. In Annas Kopf drehte sich alles. Sie war zu keiner sinnvollen Aussage fähig. »Können Sie bitte Ihren Einwand erläutern.«
»Nein, nein ... mach einfach ... weiter«, stotterte Anna. Kalter Schweiß rann ihren Rücken herab. Sie fror. Von ihrer Seite her strömte erneut Wärme durch den Körper, das musste ein weiterer Schub Medikamente gewesen sein. Sie wollte gar nicht wissen, was da gerade alles in sie hineingepumpt wurde.
AMENS hatte versucht, den Krankheitsverlauf zu berechnen. Was medizinisch gesehen bei dieser Art der Verstrahlung Neuland war. Es gab dazu keine Referenz. Die Strahlung ähnelte der Gammastrahlung, war in dieser Form auf der Erde bisher unbekannt. Und die Wirklichkeit schien sich noch dramatischer zu entwickeln, als angenommen. Sogar mit starken Medikamenten würde Anna nicht mehr lange leben. Es blieben nur noch Stunden, bis sie entweder an Organversagen oder innerlichen Blutungen sterben würde.
»Anna?«, fragte Jeremie. »Ihre Entscheidung?«
»Ich ... ich möchte nach Hause«, antwortete Anna schlaftrunken. Mit ihren Gedanken verweilte sie bereits in einer anderen Welt. Einer Welt in der Vergangenheit. Sie wollte nur noch heim, ihrer Mutter einen Kuss geben und sich ins Bett legen. Vielleicht würde sie nachher Zeit haben, mit Vanessa ans Meer zu gehen. In der Klasse gab es seit einigen Tagen einen Neuen, ein hübscher Junge, der sollte angeblich schon vierzehn sein. Ob er schon mal ein Mädchen geküsst hatte?
»Anna, für welches der drei Evakuierungsszenarien möchten Sie sich entscheiden?«
Leere. Da war nichts mehr. Anna sackte weg.
»Major Sanders-Robinson?«, fragte eine mobile AMENS Einheit. Anna befand sich in ihrem Quartier. Jemand musste sie ins Bett gelegt haben. Ob sie lange geschlafen hatte?
»Status des Countdowns?«, fragte Anna panisch, alles andere war unwichtig.
»T-15 Stunden 14 Minuten, bitte nennen Sie mir Ihren Namen, Rang und beschreiben Sie die Situation, in der wir uns gerade befinden?«, fragte die AMENS Einheit mit stoischer Ruhe.
»Anna Sanders-Robinson, Major, wir befinden uns in einer Notlage. Die Horizon stürzt in eine Sonne, es ist meine Aufgabe, die Evakuierung zu koordinieren und ...«
»Major, Sie sind nicht mehr dienstfähig. Die Protokolle sehen in diesem Fall vor, Sie von Ihrem Kommando zu entbinden.« Die AMENS Einheit ließ sie nicht aussprechen.
»NEIN!«, schrie Anna durch den Raum. »Jeremie?«
»Ja. Anna«, antwortete die KI Jeremie prompt.
»Ich habe das Kommando! Stoppe diese AMENS Einheit. Sofort! Ich befehle, keine weiteren Menschen aufzuwecken! Ich befehle zudem, dass wir wie geplant weiterverfahren.«
»Anna, das kann ich nicht tun«, erklärte Jeremie höflich. AMENS schwieg in der Zwischenzeit und schwebte ein Stück zurück.
»DOCH DAS KANNST DU!« Anna war wütend. Das Adrenalin holte sie zurück. Sie hatte nicht vor, sich kaltstellen zu lassen. Nein! Es gab keine Alternative, die Evakuierung würde sie jetzt durchziehen!
»Anna, Sie konnten meinen Ausführungen nicht folgen. Erinnern Sie sich nicht? Sie haben in der Kommandozentrale das Bewusstsein verloren. Ich brauche eine Entscheidung, die ich selbst nicht treffen kann. Leider sind sie gesundheitlich nicht mehr in der Lage, das Kommando über die Horizon zu führen.«
»Was auch kein anderer Mensch schaffen wird. Schon vergessen, die Strahlung tötet Menschen in kürzester Zeit.«
»Ich könnte helfen«, sagte Irene über die Drohne, die sich ebenfalls in Annas Quartier befand.
»Dieses Dilemma ist mir bewusst. Mir ist ebenfalls unsere besondere Situation bekannt. Die Protokolle über die Befehlsgewalt an Bord der Horizon schreiben aber bei einem gesundheitlichen Notfall des leitenden Offiziers eindeutig vor ...«
»JEREMIE, nein, hör auf damit ... die Protokolle helfen uns im Moment nicht weiter. Spritzt mich fit! Wir werden meinen Plan umsetzen! Lasst euch etwas einfallen! Gebt mir einfach genug Medikamente, damit ich wach bleibe!« Anna sprang aus dem Bett, schwankte kurz, blieb aber auf den Beinen. Der weißgraue Einteiler war bereits wieder schweißdurchnässt und an der Schulter erneut voller Blut.
»Ich könnte helfen«, wiederholte Irene ihre Offerte.
»Womit?«, fragte Anna, sah genervt Irenes Kommunikationsdrohne an und wischte sich mit dem Unterarm das Blut von der Nase. »Und Jeremie, ich
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