Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
Trotz des Verlustes war Jeremies Meldung eine gute Nachricht. 26 von 29 Einheiten befanden sich im kontrollierten Landeanflug auf die Oberfläche von Proxima. Mit diesem Erfolg war unter den Umständen kaum zu rechnen gewesen.
Anna verfolgte die Statistiken der Landung. Die ersten Passagier-Module der Horizon waren vor wenigen Minuten sicher gelandet. Fünf weitere Passagier-Module befanden sich gerade im Anflug. Die zehn verbliebenen Einheiten der Jugendlichen drehten noch eine weitere Runde im Orbit des Planeten, genauso wie das Habitat der Replikanten und die neun Frachtmodule.
Das Landegebiet schien aus der Ferne ein Paradies zu sein. Wasser, Pflanzen, kleinere Tiere und Luft, alles was Menschen zum Leben brauchen. Auch die Meldungen der ersten Analysedrohnen hörten sich vielversprechend an. Proxima war wie eine zweite Erde. Unberührt, reichhaltig und wunderschön. Die Drohnen hatten ebenfalls zwei Bilder der Oberfläche gesendet. Nach Ablauf weiterer biologischer Sicherheitstests würden die AMENS Steuerungen die Menschen wieder zurück ins Leben holen.
Es war immer Annas Traum gewesen, über eine neue Erde zu gehen. Kira würde das nun für sie tun. Anna wünschte ihr alles Gute. Vielleicht würde es der Kleinen gelingen, das Leben zu leben, dass sie sich in manchen stillen Momenten immer gewünscht hatte. Das Beste von ihr würde weiterleben.
Weiterleben, überleben, das waren die zentralen Gedanken, mit denen Anna wieder an Irene dachte. Und das Versprechen, dass sie der KI gegeben hatte. Irene hatte ihren Teil der Abmachung eingehalten, sie hatte mit den Waffensystemen die Evakuierung erfolgreich beschützt. Zudem hatte sie wie versprochen, Jeremies Kernel nicht übernommen. Anna hatte zuvor zugesagt, dass Irene nach einer erfolgreichen Rettung Zugriff auf ein Funkgerät bekommen würde. Damit würde sich die KI auf die Rechner der Landungsflotte funken und die Kontrolle über alle technischen Systeme übernehmen können. Irene würde dann auf Proxima wie ein Gott residieren. Dieser Gewissenskonflikt brannte tief in Annas Seele. Sie wusste nur zu gut, auf wessen Persönlichkeit Irene basierte. Ihr leiblicher Vater war der Entwickler dieser KI. Und genau deswegen konnte sie Irene nicht vertrauen. Doch waren diese Beweggründe ausreichend, sein Wort zu brechen? Durfte man, um andere zu schützen, lügen? Betrügen? Jemanden ausnutzen, auf ihn spucken und dann einfach verrecken lassen?
»Du bist so schweigsam?«, fragte Irene vorsichtig.
»Ich denke nach.«
»Das ist nicht schwer zu erkennen.«
»Willst du dich an Bord der Landungsflotte funken?«, fragte Anna direkt. Die Zeit wurde knapp.
»Ich müsste einiges an Datenmenge übertragen. Ich bin leider keine schlanke Signatur mehr. So viele Jahre des Nachdenkens in meiner einsamen Burgkammer, dabei bekommt man reichlich Terrabyte auf die Rippen.«
»Irene! Komm auf den Punkt! Ist es deine Absicht, dich auf die Flotte zu funken?« Anna musste das klären.
»Wäre der Versuch nicht töricht, solange dein Delta-7 mit einer von mir nicht erreichbaren Kommunikationsschnittstelle, mir beim ersten Zucken mit der EMP-Ladung meinen Kernel aus den Ohren schießt?« Irene antwortete erneut ausweichend mit einer Gegenfrage.
»Beantworte meine Frage!« Anna war wütend. Sie hustete vor Anstrengung, erneut spuckte sie Blut in das Visier.
»Du wirst bald sterben.«
»Nicht nur ich.«
»Hatten wir nicht einen Deal? Ich beschütze die Evakuierung und du überlässt mir ein Funkgerät. Ich habe meinen Teil geleistet. Jetzt bist du an der Reihe.« Mit jedem Wort, das Irene von sich gab, konnte Anna ihren Vater hören.
»Hast du die Drohne deswegen losgeschickt?«
»Wärst du gerne gar gekocht worden?« Irene sprach die hohe Temperatur an, die der Horizon Schrotthaufen auf der der Sonne zugewandten Seite inzwischen hatte.
»Du hast mich gebraucht, um die Bunkertür zu öffnen. Ohne mich hätte dir die Drohne nicht das Funkmodul einbauen können!«, erklärte Anna aufgebracht.
»So kann man das auch sehen.«
»Gib es weitere plausible Sichten zu diesen Tatsachen?«
»Das ist immer das Problem mit Ansichten. Subjektivität ist individuelle Wahrheit. Zwingend. Was aber deswegen nicht folgerichtig der individuellen Sicht anderer entsprechen muss, oder der mehrheitlich kumulierten Ansicht einer repräsentativen Mehrheit. Objektivität ist ohnehin nur eine mathematische Größe.«
»Quatsch nicht so einen Scheiß!«
»Lass es uns herausfinden
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