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Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Titel: Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Buehrke
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eindeutig zu klären. Dazu gehören das bereits erwähnte Prinzip der Relativbewegung und das Gesetz der Trägheit. Wenn wir einen Stein senkrecht nach oben werfen, nimmt er den Impuls der Erdrotation mit sich, auch wenn er nicht mehr mit dem Werfer und damit auch nicht mit der Erde fest verbunden ist.
    Damit sich das heliozentrische Weltbild durchsetzen konnte, bedurfte es also nicht nur genauerer Himmelsbeobachtungen, wie sie Fernrohre ab dem frühen 17. Jahrhundert ermöglichten, sondern auch einer neuen Physik. Es war wiederum Galilei, der 1632 in seinem ›Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme‹ Aristarch ein Denkmal setzte, indem er seinen Sprecher Salviati sagen lässt: »Die Erfahrungen aber, welche man gegen die jährliche Bewegung anführt, scheinen in so offenbarem Widerspruch zu dieser Lehre zu stehen, dass – ich wiederhole es – meine Bewunderung keine Grenzen findet, wie bei Aristarch und Kopernikus die Vernunft in dem Maße die Sinne hat überwinden können, dass ihnen zum Trotz die Vernunft über ihre Leichtgläubigkeit triumphiert hat.« 6

Ignaz Semmelweis im Jahr 1860.

Das Morden muss aufhören!
Ignaz Semmelweis entdeckt die Ursache für das tödliche Kindbettfieber
    An einem Tag Mitte Mai des Jahres 1847 sitzt der Assistenzarzt Ignaz Semmelweis in seinem Arbeitszimmer der I. Gebärklinik des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Der mächtige Gebäudekomplex gruppiert sich um rund zehn Höfe und gilt als eines der größten und modernsten Krankenhäuser Europas. Semmelweis’ Zimmer befindet sich in einem Trakt des achten Hofes im zweiten Stock. Ein bis zum Boden reichendes Fenster erhellt den Raum, in dem der 29-Jährige zum wiederholten Male über der Krankengeschichte des kürzlich verstorbenen Kollegen Jakob Kolletschka grübelt. Dieser Professor der gerichtlichen Medizin hatte mit seinen Studenten eine Leiche seziert. Dabei war einem der jungen Männer das Skalpell ausgerutscht und hatte Kolletschka am Finger verletzt. Kurz darauf entzündete sich die Wunde, und von da an verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Mediziners von Tag zu Tag. Es begann mit Entzündungen der Lymphbahnen und Venen, bald schlossen sich eine Brustfell-, Herzbeutel- und Hirnhautentzündung an. Wenige Tage vor seinem Tod entwickelte sich in einem Auge noch eine Metastase.
    Die behandelnden Ärzte konnten Kolletschkas Siechtum nicht aufhalten, der Tod des verdienten Mediziners war unabwendbar. Doch Semmelweis kann nicht so einfach über dieses Geschehnis hinweggehen. »Tag und Nacht verfolgte mich das Bild von Kolletschkas Krankheit«, 1 schreibt er später in seiner denkwürdigen Arbeit ›Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers‹. Und dann wird ihm klar, warumihn diese Krankheitsgeschichte nicht loslässt. Kolletschka ist an denselben Symptomen gestorben wie viele schwanger Frauen und ihre Neugeborenen, die in seiner Klinik dem Kindbettfieber erlegen sind.
    Was allen anderen Ärzten entgangen ist, führt nun bei Semmelweis zu einer erschütternden Erkenntnis, für deren Anerkennung er bis an sein Lebensende kämpfen wird: Ärzte und Studenten stecken die Wöchnerinnen bei der Untersuchung der Genitalien mit »Cadaverteilen« an. Diese gelangen ins Blut und führen genau zu solchen Entzündungen, an denen Kolletschka gestorben ist. Der Übertragungsweg ist Semmelweis auch klar. Die Mediziner sezieren häufig Leichen und untersuchen anschließend die Schwangeren, ohne die Hände ausreichend zu desinfizieren. Dabei gelangen die todbringenden Keime ins Blut. Worum es sich dabei genau handelt, kann Semmmelweis nicht wissen, denn Bakterien sind noch nicht bekannt. Einmal überzeugt von dieser Theorie, muss sich der junge Assistenzarzt auch die bittere Erkenntnis eingestehen, dass er selbst den Tod vieler hundert Frauen verursacht hat.
    Seine Schlussfolgerungen sind logisch und überzeugend. Die Wiener Gebärklinik besitzt seit 1839 zwei Abteilungen: Während in der ersten Abteilung, wo Semmelweis angestellt ist, die Doktoren praktizieren und Studenten ausbilden, arbeiten in der zweiten Abteilung ausschließlich Hebammen. Seit der Einführung dieser Zweiteilung waren grundsätzlich in der ersten Abteilung viel mehr Frauen am Kindbettfieber erkrankt als in der zweiten. Im Jahr 1846 zum Beispiel waren in der ersten Sektion 459 Wöchnerinnen gestorben: eine Quote von elf Prozent. In der zweiten waren es im selben Zeitraum nur 105 junge Mütter, entsprechend 2,6 Prozent. In dem

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