Gentle Horse Training - B¿ttcher, T: Gentle Horse Training
Volte ab und stellte sich hin. Es war nicht mehr möglich, dieses Pferd von der Stelle zu bewegen. Ich hatte nicht erwartet, dass „nicht vorwärtsgehen“ wörtlich zu nehmen war. Der Einsatz von Gerte und Sporen führe zum Steigen oder Bocken, klärte mich die Besitzerin auf.
Guten Mutes stieg ich auf und begann mit meiner „Standard-Taktik“ – wenn ein Pferd nicht vorwärts antreten will, dann tritt es eben zur Seite oder nach hinten an. Gerade das seitliche Antreten ist eine sehr effektive Methode, Pferde in Bewegung zu setzen, ohne zu grob werden zu müssen. In diesem Fall versagte sie gänzlich. Es war auch nicht möglich, mit dem Bein die Pferdehüfte zu verschieben, um daraus eine Bewegung zu entwickeln.
Das einzige Zugeständnis des Pferdes war ein Nachgeben im Hals nach links und rechts. Durch schnelles Hin- und Herbewegen des Pferdekopfes kann man Pferde oft aus dem Gleichgewicht und somit in Bewegung bringen – Jet blieb jedoch resistent.
Eine kleine Denkpause war angesagt. Da jedes Lebewesen aus seiner Situation lernt, um sie zu verbessern, musste ein Umfeld geschaffen werden, in dem Bewegung angenehmer ist als Stehen. Mein Weg konnte also nur über die Psyche des Pferdes führen – es musste sich dazu entscheiden, sich zu bewegen. Der Versuch, das Pferd zu zwingen, würde aller Voraussicht nach im Sand enden.
Die Lösung lag darin, das Stehen für das Pferd unbequem zu machen, ohne dabei grob zu werden und es zu Verteidigungsmaßnahmen zu zwingen. Ich nahm den rechten Zügel so an, dass der Pferdekopf etwa im rechten Winkel abgestellt war, und wartete. Durch die Biegung im Hals ist es dem Pferd nicht mehr möglich, ausbalanciert zu stehen, und die Halsmuskulatur ermüdet ebenfalls.
Nach etwa fünf Minuten wurde es Jet langsam unbequem, wobei er schon vorher versucht hatte, seinen Kopf freizubekommen. Ein „halber Schlag“ ums Horn des Sattels sorgte jedoch dafür, dass er mir nicht den Zügel aus der Hand reißen konnte. Dieser halbe Schlag lässt sich jedoch mit einer Bewegung lösen, sodass man in Situationen, die zu eskalieren drohen, den Zügel sofort nachgeben kann. Das hat zur Sicherhei t von Pferd und Mensch oberste Priorität.
Aus dem leichten Zappeln heraus begann Jet das rechte Bein hochzunehmen, um sich auszubalancieren.
Ich löste den Zügel und lobte ihn. In den nächsten Minuten begriff er, dass ihn die Bewegung aus der unangenehmen Situation befreite. Nach weiteren fünf Minuten, die er durch die Gegend humpelte – das Annehmen des Zügels brachte ihn kurzfristig in Bewegung –, konnte man erkennen, dass er anfing, sich konstant vorwärtszubewegen. Das eigentliche Training konnte beginnen.
Glauben Sie mir, es gibt kaum ein komischeres Bild als ein Reiter auf einem Pferd, das sich nicht bewegt – wenn man als Zuschauer am Rand steht.
Das Training muss immer die Natur des Pferdes berücksichtigen. Bewegung ist dabei ein grundlegendes Element. (Foto: Böttcher)
Es ist eine simple Rechnung: 600 Kilogramm auf vier Beinen. Wollen wir irgendetwas mit auch nur einem (!) Bein machen, sind wir körperlich nicht in der Lage, diese 150 Kilogramm zu bewegen. Das Pferd muss sich demnach bewegen, dieses Bein anheben – erst dann können wir Einfluss auf die Bewegung nehmen und das Bein lenken. Egal was wir vorhaben, vorher muss das Pferd losgehen.
Ist das selbstverständlich? Sicher – aber wie viele Pferde kennen Sie, die sich vor dem Hänger einfach hinstellen? Oder unser liebes Pony frisst genüsslich am Wegesrand, und wir kommen nicht einen Meter von der Stelle?
Viele Probleme basieren auf dieser Abwesenheit von Bewegung beziehungsweise darauf, dass Menschen aus einem Bedürfnis nach Kontrolle heraus versuchen, Bewegung zu verhindern. Ein Pferd soll gezwungen werden, unter dem Reiter stillzustehen – es steigt. Ein weiteres wird einfach angebunden und reißt sich los. Dem nächsten Vierbeiner wird eine Kandare ins Maul geschnallt, um den Vorwärtsdrang zu bremsen. Ein stehendes Pferd stellt vielleicht keine Gefahr dar, es lässt sich aber nicht trainieren. Niemand muss Angst auf einem stehenden Pferd haben, aber im Notfall wird es sich bewegen. Haben Mensch und Pferd nicht gelernt, in der Bewegung miteinander zurechtzukommen, wird die Situation immer wieder gefährlich werden.
Viele Reiter-Pferd-Beziehungen sind genau durch diesen Umstand geprägt. Wir versuchen das auszuschalten, was wir eigentlich benötigen: die Bewegung des Pferdes. Haben wir das endlich
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