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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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bloß vierzigtausend Meilen pro Sekunde durch das All rast.
    Robusti hielt den Blick noch immer auf den Zeiger gerichtet, nicht ahnend, daß während der Minute, die eben zu Ende ging, in seinen Hoden 138000 Spermien entstanden.
    »Die Minute ist um«, sprach er, »öffne deine Augen.« Sie tat wie befohlen. Der Anblick der leuchtenden Erdkugel irrlichterte in ihrem Gehirn; sie atmete schwer, glotzte, und Robusti bat sie im Befehlston, noch einmal die Augen zu schließen, für eine weitere Minute, in welcher Zeit übrigens eine weiße Blutzelle einen Bazillus einfängt und abwürgt.
    »Ruh dich aus«, sagte Robusti zärtlich. »Dann erzähle ich dir, was ich für dein Leben geplant habe. Sag, wenn du bereit bist, mich anzuhören.«
    »Jetzt«, sagte sie ungeduldig, »gleich jetzt.«
    Diese Antwort galt allerdings nicht seiner angekündigten Rede. Ihre Augen waren auf die Schmuckschatulle gerichtet, die Finger gekrallt wie die Tatzen einer Katze vor dem Sprung auf die Maus.

ZEHN
    »Ich werde nun die Blumen sorgfältig aus diesem Körperteil entfernen, der dir Ruhm und Reichtum einbringen wird.«
    Laura möge nun knien.
    Sie gehorchte, zog ihre Knie an und entfaltete damit die Pracht ihrer Rundungen, die zwei Halbkugeln, in denen die Serenaröschen steckten.
    Laura erschauerte vor wollüstiger Verwunderung über die Ehre, die man diesem ihrem Hintern geschenkt hatte, dieser Zierde ihres Körpers.
    Robusti ließ sich Zeit.
     
    »Blume für Blume«, sagte er und stellte die Schmuckschatulle seiner Mutter vor sie hin, in einer Reichweite, die sie zwang, den Arm weit auszustrecken, wenn sie eine der Kostbarkeiten ergreifen wollte.
    »Jedesmal, wenn ich eine Blume pflücke aus deinem…« Er zögerte. »Nun – darfst du der Schatulle entnehmen, was immer es sei, und es wird dir gehören, nur dir.«
    Robusti horchte auf. Er glaubte die Mutterleiche im Nebenzimmer kreischen zu hören und brüllte kraftvoll: »Ruhe! Mamma! Ruhe! Basta!«
    »War da jemand?« fragte Laura entsetzt.
    »Unsinn«, antwortete Robusti.
    Laura verließen für Augenblicke die Sinne. Sie wurde wieder geweckt, als Robusti eine Blume pflückte, kitzelnd und befreiend zugleich.
    Und sofort griff sie zu: Es war ein Perlencollier, das ihr den Atem raubte, Schmuck und Reiz der Sinne. Sie biß auf die Perlen, leckte, überlegte, worauf ihr einfiel, daß noch weit mehr an Besitz auf sie wartete.
    Sie warf einen Blick nach ihrem Rückenende, hinter dem sich Robusti hingesetzt hatte, versunken in den Anblick und unentschlossen, ob er nun als zweitletztes das rosa Serenaröschen oder das dunkelrote pflücken sollte.
    Lauras Stimme schrillte geil: »Entschließ dich endlich!« Ihre Hand war bereits krallenartig geöffnet, um sich in die Schatulle hineinzuwühlen. Ihre Hand zuckte im nämlichen Augenblick wie ihre Hinterbacken, aus der ihr Herr und Meister (so empfand sie in dieser Sekunde) einen Rosenstiel herauszog. Diesmal umklammerte sie eine Silberspange. Sie seufzte – aber wegen des reizenden Rosenstiels.
    »Bleib ruhig, warte und denk noch einmal über die Weltkugel nach. Verstanden?«
    Laura nickte. Angesichts des Schmucks war sie mit allem einverstanden.
     
    Im Raum jedoch war jemand, den sie nicht sehen konnten und nie sehen würden: Shem-Yaza, einer der gefallenen Engel, der zur Strafe für seinen fleischlichen Umgang mit irdischen Frauen bis in alle Ewigkeit zwischen Himmel und Erde festgebannt war, qualvoll. Und aus Angst vor dem endgültigen Fall hielt er immer ein Auge geschlossen und das andere ängstlich geöffnet, um doch alles zu sehen, was es zu sehen gab. Ach, Shem-Yaza hatte sich ein bißchen an die Ewigkeit gewöhnt und betrachtete nicht ohne Neugier, was sich da zwischen einem Erdmann und einem Erdmädchen abspielte.
    Engel der höheren Ordnung scherten sich schon lange nicht mehr um ihn, Shem-Yaza. Er galt als senil. Entgegen dem Volksglauben sind Engel übrigens nicht unsterblich.

ELF
    Er gedenke, so sagte Primo Antonio Robusti, ein Kunstwerk aus ihr zu machen. Ein Kunstwerk, wie es die Welt bisher nicht gekannt habe. Er habe an diesem Morgen in Santa Fe, New Mexico, Kontakt aufgenommen mit dem zur Zeit berühmtesten Tätowierkünstler, Omai O'Hara, dem Goya oder Rembrandt dieser Kunst. Robusti ließ sich nicht von Lauras Frage unterbrechen, wer Goya oder Rembrandt sei, und bemerkte bloß, einer sei der größte Künstler Spaniens, der andere der größte Hollands, und sie begnügte sich mit dieser Antwort. Robusti verschwieg bewußt

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