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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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Italien?« »Selbstverständlich.«
    »Ich trinke nur kalifornischen Orangensaft. Ein kleines Perrier wäre auch recht.«
    Robusti sah ratlos ins Universum, wie Gott am Montag, nachdem er die Welt erschaffen hat.
    »Pellegrino naturale?« fragte er schließlich. »Dasselbe in Sachen Qualität.«
    »Hoffentlich«, bemerkte der Gast. »Übrigens bin ich nicht durstig. Zum Zähnespülen dürfte Ihr Pellegrino wohl genügen.«
    Von drei hinkenden Dienern begleitet, betrat er endlich das Haus, und Primo Antonio Robusti führte die kleine Schar treppauf. Eigentlich wünschte er sich in Augenblicken wie diesem doch eine Ehefrau, der er von all dem Entsetzlichen und Erniedrigenden dieses Morgens hätte erzählen und dabei fluchen und schimpfen können. Selbst die Mutterleiche hätte genügt; der bloße Gedanke an sie beruhigte ihn ein wenig.
    Vor dem Gästezimmer, das für O'Hara bestimmt war, verbeugte er sich wortlos und ging. O'Hara verteilte nämlich an die Bediensteten Kaugummiblättchen, herablassend wie die GIs. 1944 nach der Eroberung Neapels. Damals waren es allerdings Kinder gewesen, die Kaugummi geschenkt bekommen hatten. Robusti erinnerte sich genau. Er stammte nämlich aus Neapel, nicht aus Rom.
    Als er verschwunden war, erkundigte sich O'Hara nett nach ihren körperlichen Behinderungen und erfuhr, daß Robusti nur lädierte, ja sogar leicht verkrüppelte Männer und sehr häßliche Frauen als Hauspersonal hielt. Vermutlich erhöhte dies sein Selbstwertgefühl. Man könnte es auch Güte nennen.
    Natürlich gab es Ausnahmen. Wie Lucia Florentano zum Beispiel.
     
    Zwei Stunden später suchte Robusti das Zimmer auf, in dem sich die Mutterleiche gewöhnlich aufhielt, sofern sie nicht auf einer ihrer drei Tages- und Nachtrunden durch den Palazzo unterwegs war. Er klopfte leise an die Tür. Ein zweites und ein drittes Mal. Vermutlich war sie beleidigt. Robusti öffnete die Tür einen winzigen Spalt, versuchte die Stimme seiner Kindheit zu finden, den hellen Ton, und hauchte dann kläglich: »Mamma! Mamma!« Und nach einer Weile noch einmal: »Mamma!«
    »Nun, bin ich wieder gut genug?« krächzte die Mutterleiche. »Hättest du dich nicht mit diesem Weibsstück eingelassen, so wäre dir das alles erspart geblieben. Laß dir von deinem abscheulichen Personal einen Teller Spaghetti bringen. Das wird dich beruhigen. Und laß mich nun in Ruh!«
    Robusti gehorchte.

VIERZEHN
    Omai O'Hara hatte sich von seiner Siesta bereits wieder erhoben und wurde vom lauernden Dienstpersonal gesichtet, als er im Jogginganzug, sich auf der Freitreppe warmtänzelnd, zu einem Lauf aufbrach.
    »Herrlicher Nachmittag«, bemerkte Robusti, eher rhetorisch.
    »Der Nachmittag ist überall herrlich«, antwortete O'Hara. »Und wo bleibt die junge Dame?«
    »Die junge Dame wartet eigentlich bloß auf Sie.«
    Beide verbeugten sich leicht, und Robusti glaubte momentane Harmonie und Respekt zu erkennen, nur kurz allerdings, denn der Meister aller Tätowierer spuckte ein Stück Kaugummi in die Hand und überreichte es einem der Diener wie einen Orden.
    Robusti wußte sich wieder einmal zu beherrschen.
    »Darf ich Sie in meinem Arbeitszimmer erwarten? Sagen wir, in zwanzig Minuten?«
    O'Hara nickte, und Robusti eilte nägelkauend und im Marschschritt zu seinem Salon-Büro und schmetterte die Tür hinter sich zu.
    Er setzte sich in seinen Schreibtischfauteuil, verbarg das Gesicht in beiden Händen, sah wieder auf und guckte sich in seinem eigenen Zimmer um, als wäre es ihm fremd. Er versuchte Störendes, die Augen O'Hara Störendes, zu erkennen. Ja! An der Wand zur Rechten hingen Auszeichnungen von Kunstakademien, Ehrendoktorate, Diplome, gerahmte Dankschreiben weltbekannter Künstler. Robusti drückte hastig und ungeduldig auf einen Knopf, der in allen Dienstbotenzimmern Alarm auslöste. In weniger als zwei Minuten, die Zeit, in der ein rennendes Kamel in der Wüste eine Meile zurücklegt, fanden sich beinahe ein Dutzend Bedienstete bei ihm ein, hinkend, schnaufend, keuchend, Bucklige, Halblahme, Einbeinige, Vernarbte, Entstellte, und alle sahen ihn, Robusti, erwartungsvoll an.
    »Schafft Teppiche herbei, persische Teppiche! Ich will diese Wand hier in fünf Minuten bedeckt sehen!«
    Die Dienerschaft stob nicht auseinander, das war wegen der Türenge unmöglich, sondern stürzte übereinander und verlor unter solchen Umständen wertvolle Zeit.
    Robusti unterdrückte einen Fluch und ließ sich in den Sessel fallen.
    Der Kummer zwickte in seiner

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