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Geographie der Lust

Geographie der Lust

Titel: Geographie der Lust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Federspiel
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den Umstand, daß beide nicht mehr lebten. Das hätte sie vielleicht mißtrauisch gestimmt. Junge Leute von Lauras Art halten nichts von Verstorbenen, geschweige denn von verstorbenen Künstlern.
    »Was also ist mit Omai O'Hara?« fragte sie, seufzte, da der letzte Rosenstiel gepflückt wurde, und senkte die Augenlider.
    »Omai O'Hara hat zugesagt«, antwortete Robusti. »Er wartet bloß auf meinen Anruf. Hier, die Welt reißt sich um ihn!«
    Er überreichte ihr ein Geheimdossier, eine Mappe, in der, selbstverständlich farbig, vierundzwanzig Werke abgebildet waren, die Omai O'Hara geschaffen hatte. »Schau's dir an«, sagte Robusti. »Es sind Tätowierungen auf fast allen diskreten und indiskreten Körperteilen von Filmstars und von Frauen, ich meine – Freundinnen der mächtigsten Männer Amerikas.«
    Laura zeigte geringes Interesse. Das erste, was eine schöne junge Frau lernt, wenn sie die höhere Gesellschaft erklimmt, ist Blasiertheit. Aber die aufgesetzte Blasiertheit wich bald echtem Staunen.
    Da war eine grünrot gestreifte Schlange, die mit Vaginamund ihr Ende, nämlich die Krone eines Penis, also ein Stück von sich selbst, verschlang. Laura blätterte um, blätterte zurück, überlegte, betrachtete die zweite Zeichnung: einen Drachen, der statt Feuer blutrote Herzchen in die Luft schnaubte; dann das dritte Blatt: die Innenseite weiblicher Oberschenkel, auf denen Ritter mit gesenktem Visier und zum Kampf erhobenen Lanzen auf das weibliche Schamdreieck einen Angriff ritten. Laura versuchte sich den späteren Kampf der beiden im Inneren vorzustellen.
    Robusti spähte über Lauras Schulter, um sich mitzuergötzen: die tätowierte Haut in den Blau- und Grüntönen eines Aquariums mit Goldfischen und rötlichen Korallen, ein Sonnenuntergang über Bahia, brennende Schlösser, eine Schlacht zwischen schwarzen und roten Ameisen auf goldener Haut.
    Sie blätterte weiter: ein Mädchenrücken mit Flieder, ein anderer mit Hibiskus und ein dritter mit Tulpen und Bienen auf dem Blütenstengel, Blumen überhaupt, ferner Libellen und tropische Vögel über Büschen, die sich in grüngefärbten Schamhaaren verloren, drohende Vesuve auf weiblichen Oberschenkeln, eine mächtige Männerbrust mit einem angebissenen Apfel, ein Penis, erigiert und steil, wie es sich gehört, die exakte Nachbildung des Turms von Pisa. Und wiederum ein Frauenkörper, um den sich von den Füßen bis zum zarten Hals Efeu rankte.
    Laura blätterte weiter: Da waren auf Frauenbrüsten Gedichte zu lesen, deren Worte sich um die Rundungen der Brustwarzen wanden und dann spiralförmig ausliefen.
    Auf anderen Hautteilen waren die ersten Noten von Beethovens Fünfter Symphonie zu sehen; doch am besten gefiel Laura eine blaue Regenwolke, die sich bei jeder Bewegung der Schulterblätter veränderte und die Regentropfen glaubhaft machte, die über Rücken, Rundungen und Waden bis zu den Fersen fielen.
    »Der Auftraggeber war der Konzernherr einer Regenschirm-Dynastie«, erklärte Robusti.
    »Und das alles hat dieser Omai O'Hara geschaffen?«
    »Ja. Und nun wird er ein Kunstwerk aus dir machen.«
    »Was hast du davon?«
    »Du wirst mein Kunstwerk sein.«
    »Und was habe ich davon?«
    »Dann bist du selbst ein Kunstwerk.«
    »Ist das alles?« Laura zog eine görenhafte Grimasse.
    »Nein. Der ganze Schmuck wird dir gehören.«
    »Der ganze Schmuck?«
    »Jawohl.« Es klang sehr feierlich.
    Laura strampelte mit den Beinen vor Freude, legte sich mit katzenhafter Eleganz auf den Bauch und streckte ihm siegesbewußt ihre Prallheit entgegen, bis Robusti die beiden Halbkugeln umfaßte, sie knetete und Laura vor lauter Besitzeslust ihre Zähne aufeinander knirschen ließ.
    Robusti vernahm den unterdrückten Wutschrei der Mutterleiche aus dem Nebenzimmer.

ZWÖLF
    Am Morgen des übernächsten Tages holte der Morgenchauffeur, Silvio Montanari, den Gast aus Kalifornien auf dem Mailänder Flughafen Malpensa ab.
    Er nahm ihm einen Koffer aus Zebrafell (daran hatte er O'Hara erkannt) und zwei kleine, schwere Metallkästchen ab.
    »Please follow me, Mister O'Hara«, radebrechte Silvio.
    »Parlo tutte le lingue, io«, antwortete O'Hara zum Erstaunen des Chauffeurs, und in der Tat war sein Italienisch einwandfrei.
    Silvio betrachtete seinen Fahrgast im Rückspiegel. O'Hara war ganz in Leder gekleidet, ein faltenloses Gesicht wie aus Metall, metallblau auch die Augen, alterslos eigentlich. Er konnte dreißig oder sechzig sein.
    »Bitte schließen Sie alle Fenster und stellen Sie

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