Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
entgegengesetzten Seite herein): Was ist das für ein Gesicht? Sie ist es! Dies Weib zu Venedig! He! Maffio!
Maffio (tritt ein): Was gibt’s?
Jeppo : Ich will dir was Unerhörtes sagen. Er spricht leise mit Maffio.
Maffio : Und weißt du das sicher?
Jeppo : So sicher, als wir hier im Palast Barbarigo und nicht im Palast Labbia sind.
Maffio : Sie hatte ein verliebtes Gespräch mit Gennaro?
Jeppo : Mit Gennaro.
Maffio : Ich muß meinen Bruder aus diesem Spinnennetz ziehen.
Jeppo : Komm, wir wollen unsre Freunde davon unterrichten.
Sie gehen ab. Die Bühne bleibt während einiger Augenblicke leer. Man sieht nur von Zeit zu Zeit im Hintergrunde des Theaters Gondeln unter Musikbegleitung vorüberfahren. Gennaro kömmt mit Lucretia zurück, sie ist maskiert.
Vierte Szene
Gennaro, Donna Lucretia
Lucretia : Die Terrasse ist finster und verlassen. Ich kann die Maske hier abnehmen. Ihr sollt mein Gesicht sehen, Gennaro. Sie nimmt die Maske ab.
Gennaro : Ihr seid sehr schön!
Lucretia : Sieh mich scharf an, Gennaro, und sage mir, ob ich dich nicht schaudern mache!
Gennaro : Ihr mich schaudern machen! Und warum? O, im Gegenteil, im Tiefsten meines Herzens ist etwas, das mich zu Euch zieht.
Lucretia : Und glaubst du wohl, daß du mich lieben könntest, Gennaro?
Gennaro : Warum nicht? Dennoch, Donna, ich bin aufrichtig, es wird doch immer ein Weib geben, das ich mehr liebe, als Euch.
Lucretia (lächelnd): Ich weiß, die kleine Fiametta!
Gennaro : Nein.
Lucretia : Wer denn?
Gennaro : Meine Mutter.
Lucretia : Deine Mutter! Deine Mutter! O mein Gennaro! Du liebst also deine Mutter, ist es nicht so?
Gennaro : Und doch habe ich sie niemals gesehen. Kommt dies Euch nicht sehr sonderbar vor? Seht, ich weiß nicht, was mich treibt. Euch zu meiner Vertrauten zu machen. Ich will Euch ein Geheimnis sagen, das ich noch niemand sagte, nicht einmal meinem Waffenbruder, nicht einmal Maffio Orsini. Das ist seltsam, sich dem ersten Besten so zu überlassen, aber es ist mir, als hätten wir uns nicht zum erstenmale getroffen. – Ich bin Hauptmann, weiß nichts von meiner Familie und wurde in Calabrien von einen Fischer erzogen, für dessen Sohn ich mich hielt. Am Tage, wo ich 16 Jahre alt war, sagte mir der Fischer, daß er mein Vater nicht sei. Einige Zeit darnach kam ein Herr, der mir die Rüstung eines Ritters anlegte und wegging, ohne das Visier seines Helmes aufgeschlagen zu haben. Darauf brachte mir ein schwarz gekleideter Mann einen Brief; ich öffnete ihn. Meine Mutter war es, die mir schrieb, meine Mutter, die ich nicht kannte, meine Mutter, von der ich träumte, wie sie gut sei, sanft, zärtlich, schön wie (Ihr), meine Mutter, die ich mit ganzer Seele anbetete! Aus diesem Brief erfuhr ich jedoch, ohne daß man mir einen Namen angab, daß ich adelig und aus einem großen Geschlechte sei und daß meine Mutter sehr unglücklich wäre. Arme Mutter!
Lucretia : Guter Gennaro!
Gennaro : Seit dem Tage lief ich nach Abenteuern, weil ich durch meinen Degen so gut etwas werden wollte, als durch meine Geburt. Ich durchstrich ganz Italien. Aber den ersten Tag jedes Monates, wo ich auch sei, sehe ich immer den nämlichen Boten kommen. Er bringt mir einen Brief von meiner Mutter, nimmt meine Antwort und geht. Er sagt mir nichts und ich sage ihm nichts, denn er ist taub und stumm.
Lucretia : So weißt du also nichts von deiner Familie?
Gennaro : Ich weiß, daß ich eine Mutter habe, und daß sie unglücklich ist, und daß ich mein Leben in dieser Welt darum geben würde, sie einmal weinen, und mein Leben in der anderen, sie einmal lächeln zu sehen. Das ist Alles.
Lucretia : Was machst du mit ihren Briefen?
Gennaro : Ich habe sie alle da auf meinem Herzen. Wir Kriegsleute wagen unsre Brust oft gegen eine Degenspitze. Die Briefe einer Mutter sind ein guter Harnisch.
Lucretia : Edle Natur!
Gennaro : Seht, wollt Ihr auch ihre Schriftzüge sehen? Da ist einer von ihren Briefen. Er zieht ein Papier aus dem Busen, küßt es und gibt es der Donna Lucretia.
Lucretia (liest): »Mein Gennaro, suche nicht mich kennen zu lernen vor dem Tage, den ich dir bestimmen werde. Ich bin sehr zu beklagen. Ich bin von erbarmungslosen Verwandten umgeben, die dich töten würden, wie sie deinen Vater getötet haben. Ich, mein Kind, will allein um das Geheimnis deiner Geburt wissen. Wenn du es wüßtest! Doch das ist zugleich so traurig und so glänzend, daß du nicht schweigen könntest. Die Jugend ist zutraulich, die Gefahren, die dich
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