Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
eifersüchtig wie ein Tiger. Eure Hoheit verläßt also Ferrara und geht heimlich nach Venedig, fast ohne Gefolge, unter einem falschen neapolitanischen Namen, ich unter einem falschen spanischen; Eure Hoheit kommt nach Venedig, trennt sich von mir und befiehlt mir, sie nicht mehr zu kennen, und dann fangt Ihr an, unter dem Schütze des Karnevals, maskiert, verkleidet, Allen verborgen, auf den Festen, den Tänzen, den Tertullias herumzulaufen; sprecht mit mir jeden Abend kaum zwischen Tür und Angel und beschließt die ganze Maskerade mit einer Predigt, die Ihr mir haltet! Eine Predigt von Euch, Donna, ist das nicht seltsam und unerhört? Ihr habt Euren Namen gewechselt, Euer Kleid gewechselt, und jetzt wechselt Ihr Eure Seele! Bei meiner Ehre, das heiße ich den Karneval verzweifelt weit treiben, mir schwindelt. Und was ist die Ursache dieses Benehmens?
Lucretia (faßt ihn lebhaft beim Arm und führt ihn vor den schlafenden Gennaro): Siehst du diesen Jüngling?
Gubetta : Der junge Mann ist nichts Neues für mich, ich weiß, daß Ihr ihm unter Eurer Maske nachlauft, seit Ihr zu Venedig seid.
Lucretia : Was sagst du dazu?
Gubetta : Ich sage, daß es ein junger Mensch ist, der auf einer Bank schläft und der stehend schlafen würde, wenn er nur ein Drittel von dem moralischen und erbauenden Gespräch gehört hätte, das ich eben mit Eurer Hoheit führte.
Lucretia : Findest du ihn nicht sehr schön?
Gubetta : Er würde schöner sein, wenn er die Augen nicht geschlossen hätte. Ein Gesicht ohne Augen ist ein Palast ohne Fenster.
Lucretia : Wenn du wüßtest, wie ich ihn liebe!
Gubetta : Das geht den Don Alphons, Euren königlichen Gemahl, an. Ich muß Eure Hoheit gleichwohl benachrichtigen, daß sie sich umsonst bemüht. Dieser junge Mann liebt, wie man mir sagt, ein junges hübsches Mädchen, Namens Fiametta.
Lucretia : Und das junge Mädchen liebt ihn?
Gubetta : Ja, wie man sagt.
Lucretia : Desto besser, ich wünsche so sehr, ihn glücklich zu wissen.
Gubetta : Das ist sonderbar und nicht in Eurer Art. Ich hielt Euch für eifersüchtiger.
Lucretia (indem sie Gennaro betrachtet): Welch edle Gestalt!
Gubetta : Ich finde, daß er Jemand gleicht…
Lucretia : Nenne mir den nicht, dem du ihn ähnlich findest! – Laß mich!
Gubetta geht ab. Donna Lucretia bleibt einige Augenblicke wie entzückt vor Gennaro stehen; sie bemerkt zwei maskierte Männer nicht, welche in den Hintergrund der Bühne treten und sie beobachten.
Lucretia : Das ist er also! Endlich ist es mir vergönnt, ihn einen Augenblick ohne Gefahr zu sehen! Nein, ich hatte ihn nicht schöner geträumt. O Gott, spare mir die Qual, je von ihm gehaßt oder verachtet zu werden, du weißt, er ist Alles, was ich unter dem Himmel liebe! Ich wage die Maske nicht abzunehmen, und doch muß ich meine Tränen trocknen.
Sie nimmt die Maske ab, um sich die Augen zu trocknen. Die beiden maskierten Männer sprechen leise mit einander, während sie die Hand des schlafenden Gennaro küßt.
Erste Maske : Das ist genug, ich kann nach Ferrara zurückkehren. Ich war nur nach Venedig gekommen, um mich von ihrer Untreue zu überzeugen, ich habe genug gesehen; ich kann nicht länger von Ferrara abwesend bleiben. Dieser junge Mann ist ihr Geliebter. Wie nennt man ihn, Rustighello?
Zweite Maske : Er heißt Gennaro. Ein Hauptmann, ein tapfrer Abenteurer, der weder Vater noch Mutter hat, ein Mensch, von dessen Herkommen man nichts weiß. Er steht im Augenblick im Dienste der Republik Venedig.
Erste Maske : Sorge, daß er nach Ferrara kommt.
Zweite Maske : Das macht sich von selbst, Monsignor. Er reist übermorgen mit einigen seiner Freunde, die zur Gesandtschaft der Senatoren Tiopolo und Grimani gehören, nach Ferrara.
Erste Maske : Gut. Die Berichte waren genau. Ich habe genug gesehen, sage ich dir, wir können wieder abreisen. Sie gehen ab.
Lucretia (faltet die Hände und kniet vor Gennaro fast nieder): O mein Gott, möge er so glücklich sein, als ich unglücklich war! Sie küßt Gennaro auf die Stirne, er erwacht und springt auf.
Gennaro : Ein Kuß! Ein Weib! – Auf Ehre, Donna, wäret Ihr Königin, und wäre ich Dichter, so wäre das wahrhaftig das Abenteuer des Herrn Alain Chartier, des französischen Poeten. Aber ich weiß nicht, wer Ihr seid, und ich bin nichts als ein Soldat.
Lucretia : Laßt mich, Signor Gennaro.
Gennaro : Nicht doch, Donna.
Lucretia : Man kommt! Sie entflieht, Gennaro folgt ihr.
Dritte Szene
Jeppo, dann Maffio
Jeppo (tritt auf der
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