Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
Gelegenheit? Die Sitzung ist aufgehoben. (Er entfernt sich feierlich, der ganze Staatsrat folgt ihm.)
Dritte Szene
Ein reichgeschmückter Saal, Kerzen brennen
Leonce mit einigen Dienern.
Leonce : Sind alle Läden geschlossen? Zündet die Kerzen an! Weg mit dem Tag! Ich will Nacht, tiefe ambrosische Nacht. Stellt die Lampen unter Kristallglocken zwischen die Oleander, daß sie wie Mädchenaugen unter den Wimpern der Blätter hervorträumen. Rückt die Rosen näher, daß der Wein wie Tautropfen auf die Kelche sprudle. Musik! Wo sind die Violinen? Wo ist die Rosetta? Fort! Alle hinaus! (Die Diener gehen ab.)
(Leonce streckt sich auf ein Ruhebett. Rosetta zierlich gekleidet, tritt ein. Man hört Musik aus der Ferne.)
Rosetta : (nähert sich schmeichelnd) Leonce!
Leonce : Rosetta!
Rosetta : Leonce!
Leonce : Rosetta!
Rosetta : Deine Lippen sind träg. Vom Küssen?
Leonce : Vom Gähnen!
Rosetta : Oh!
Leonce : Ach Rosetta, ich habe die entsetzliche Arbeit…
Rosetta : Nun?
Leonce : Nichts zu tun…
Rosetta : Als zu lieben?
Leonce : Freilich Arbeit!
Rosetta : (beleidigt) Leonce!
Leonce : Oder Beschäftigung.
Rosetta : Oder Müßiggang.
Leonce : Du hast Recht wie immer. Du bist ein kluges Mädchen, und ich halte viel auf deinen Scharfsinn.
Rosetta : So liebst du mich aus Langeweile?
Leonce : Nein, ich habe Langeweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr seid eins. O dolce far niente, ich träume über deinen Augen, wie an wunderheimlichen tiefen Quellen, das Kosen deiner Lippen schläfert mich ein, wie Wellenrauschen. (Er umfaßt sie.) Komm liebe Langeweile, deine Küsse sind ein wollüstiges Gähnen, und deine Schritte sind ein zierlicher Hiatus.
Rosetta : Du liebst mich, Leonce?
Leonce : Ei warum nicht?
Rosetta : Und immer?
Leonce : Das ist ein langes Wort: immer! Wenn ich dich nun noch fünftausend Jahre und sieben Monate liebe, ist’s genug? Es ist zwar viel weniger, als immer, ist aber doch eine erkleckliche Zeit, und wir können uns Zeit nehmen, uns zu lieben.
Rosetta : Oder die Zeit kann uns das Lieben nehmen.
Leonce : Oder das Lieben uns die Zeit. Tanze, Rosetta, tanze, daß die Zeit mit dem Takt deiner niedlichen Füße geht!
Rosetta : Meine Füße gingen lieber aus der Zeit. (Sie tanzt und singt.)
O meine müden Füße, ihr müßt tanzen
In bunten Schuhen,
Und möchtet lieber tief, tief
Im Boden ruhen.
O meine heißen Wangen, ihr müßt glühen
Im wilden Kosen,
Und möchtet lieber blühen
Zwei weiße Rosen.
O meine armen Augen, ihr müßt blitzen
Im Strahl der Kerzen,
Und lieber schlieft ihr aus im Dunkeln
Von euren Schmerzen.
Leonce : (indeß träumend vor sich hin) O, eine sterbende Liebe ist schöner, als eine werdende. Ich bin ein Römer; bei dem köstlichen Mahle spielen zum Dessert die goldnen Fische in ihren Todesfarben. Wie ihr das Rot von den Wangen stirbt, wie still das Auge ausglüht, wie leis das Wogen ihrer Glieder steigt und fällt! Adio, adio meine Liebe, ich will deine Leiche lieben. ( Rosetta nähert sich ihm wieder.) Tränen, Rosetta? Ein feiner Epikuräismus – weinen zu können. Stelle dich in die Sonne, daß die köstlichen Tropfen kristallisieren, es muß prächtige Diamanten geben. Du kannst dir ein Halsband daraus machen lassen.
Rosetta : Wohl Diamanten, sie schneiden mir in die Augen. Ach Leonce! (Will ihn umfassen.)
Leonce : Gib Acht! Mein Kopf! Ich habe unsere Liebe darin beigesetzt. Sieh zu den Fenstern meiner Augen hinein. Siehst du, wie schön tot das arme Ding ist? Siehst du die zwei weißen Rosen auf seinen Wangen und die zwei roten auf seiner Brust? Stoß mich nicht, daß ihm kein Ärmchen abbricht, es wäre Schade. Ich muß meinen Kopf gerade auf den Schultern tragen, wie die Totenfrau einen Kindersarg.
Rosetta : (scherzend) Narr!
Leonce : Rosetta. (Rosetta macht ihm eine Fratze.) Gott sei Dank! (Hält sich die Augen zu.)
Rosetta : (erschrocken) Leonce, sieh mich an.
Leonce : Um keinen Preis!
Rosetta : Nur einen Blick!
Leonce : Keinen! Weinst du? Um ein klein wenig, und meine liebe Liebe käme wieder auf die Welt. Ich bin froh, daß ich sie begraben habe. Ich behalte den Eindruck.
Rosetta : (entfernt sich traurig und langsam, sie singt im Abgehn)
Ich bin eine arme Waise,
Ich fürchte mich ganz allein.
Ach liebet Gram –
Willst du nicht kommen mit mir heim?
Leonce : (allein) Ein sonderbares Ding um die Liebe. Man liegt ein Jahr lang schlafwachend zu Bette, und an einem schönen Morgen wacht man auf, trinkt
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