Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
posteriori fängt Alles an, wie ein altes Mährchen: es war einmal!
Valerio : So wollen wir Helden werden. (Er marschiert trompetend und trommelnd auf und ab.) Trom – trom – pläre – plem!
Leonce : Aber der Heroismus fuselt abscheulich und bekommt das Lazarethfieber und kann ohne Lieutenants und Rekruten nicht bestehen. Pack dich mit deiner Alexanders- und Napoleonsromantik!
Valerio : So wollen wir Genies werden.
Leonce : Die Nachtigall der Poesie schlägt den ganzen Tag über unserm Haupt, aber das Feinste geht zum Teufel, bis wir ihr die Federn ausreißen und in die Tinte oder die Farbe tauchen.
Valerio : So wollen wir nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden.
Leonce : Lieber möchte ich meine Demission als Mensch geben.
Valerio : So wollen wir zum Teufel gehen.
Leonce : Ach der Teufel ist nur des Kontrastes wegen da, damit wir begreifen sollen, daß am Himmel doch eigentlich etwas sei. (Aufspringend.) Ah Valerio, Valerio, jetzt hab’ ich’s! Fühlst du nicht das Wehen aus Süden? Fühlst du nicht wie der tiefblaue glühende Äther auf und ab wogt, wie das Licht blitzt von dem goldnen, sonnigen Boden, von der heiligen Salzflut und von den Marmor-Säulen und Leibern? Der große Pan schläft und die ehernen Gestalten träumen im Schatten über den tiefrauschenden Wellen von dem alten Zaubrer Virgil, von Tarantella und Tambourin und tiefen tollen Nächten, voll Masken, Fackeln und Guitarren. Ein Lazzaroni! Valerio! ein Lazzaroni! Wir gehen nach Italien.
Vierte Szene
Ein Garten
Prinzessin Lena im Brautschmuck. Die Gouvernante.
Lena : Ja, jetzt! Da ist es. Ich dachte die Zeit an nichts. Es ging so hin, und auf einmal richtet sich der Tag vor mir auf. Ich habe den Kranz im Haar – und die Glocken, die Glocken!
(Sie lehnt sich zurück und schließt die Augen.)
Sieh, ich wollte, der Rasen wüchse so über mich und die Bienen summten über mir hin; sieh, jetzt bin ich eingekleidet und habe Rosmarin im Haar. Gibt es nicht ein altes Lied:
Auf dem Kirchhof will ich liegen
Wie ein Kindlein in der Wiegen…
Gouvernante : Armes Kind, wie Sie bleich sind unter Ihren blitzenden Steinen.
Lena : O Gott, ich könnte lieben, warum nicht? Man geht ja so einsam und tastet nach einer Hand, die einen hielte, bis die Leichenfrau die Hände auseinandernähme und sie jedem über der Brust faltete. Aber warum schlägt man einen Nagel durch zwei Hände, die sich nicht suchten? Was hat meine arme Hand getan? (Sie zieht einen Ring vom Finger.) Dieser Ring sticht mich wie eine Natter.
Gouvernante : Aber – er soll ja ein wahrer Don Carlos sein.
Lena : Aber ein Mann –
Gouvernante : Nun?
Lena : Den man nicht liebt. (Sie erhebt sich.) Pfui! Siehst du, ich schäme mich. – Morgen ist aller Duft und Glanz von mir gestreift. Bin ich denn wie die arme, hülflose Quelle, die jedes Bild, das sich über sie bückt, in ihrem stillen Grund abspiegeln muß? Die Blumen öffnen und schließen, wie sie wollen, ihre Kelche der Morgensonne und dem Abendwind. Ist denn die Tochter eines Königs weniger, als eine Blume?
Gouvernante : (weinend) Lieber Engel, du bist doch ein wahres Opferlamm.
Lena : Ja wohl – und der Priester hebt schon das Messer. – Mein Gott, mein Gott, ist es denn wahr, daß wir uns selbst erlösen müssen mit unserm Schmerz? Ist es denn wahr, die Welt sei ein gekreuzigter Heiland, die Sonne seine Dornenkrone und die Sterne die Nägel und Speere in seinen Füßen und Lenden?
Gouvernante : Mein Kind, mein Kind! ich kann dich nicht so sehen. – Es kann nicht so gehen, es tötet dich. Vielleicht, wer weiß! Ich habe so etwas im Kopf. Wir wollen sehen. Komm! (Sie führt die Prinzessin weg.)
Zweiter Akt
Wie ist mir eine Stimme doch erklungen
Im tiefsten Innern,
Und hat mit Einemmale mir verschlungen
All mein Erinnern.
Adalbert von Chamisso
Erste Szene
Freies Feld. Ein Wirtshaus im Hintergrund
Leonce und Valerio, der einen Pack trägt, treten auf.
Valerio : (keuchend) Auf Ehre, Prinz, die Welt ist doch ein ungeheuer weitläuftiges Gebäude.
Leonce : Nicht doch! Nicht doch! Ich wage kaum die Hände auszustrecken, wie in einem engen Spiegelzimmer, aus Furcht überall anzustoßen, daß die schönen Figuren in Scherben auf dem Boden lägen und ich vor der kahlen, nackten Wand stünde.
Valerio : Ich bin verloren.
Leonce : Da wird Niemand einen Verlust dabei haben als wer dich findet.
Valerio : Ich werde mich nächstens in den Schatten meines Schattens stellen.
Leonce : Du verflüchtigst
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