George, Elizabeth
passiert! Er neigte nicht dazu, nach Zeichen
Ausschau zu halten, und doch schien das ein Hinweis darauf zu sein, was er als
Nächstes zu tun hatte.
Schon wieder dieser
Gesichtsausdruck. Es lag etwas Zärtliches darin und noch mehr, und es machte
ihn misstrauisch, sosehr es ihn gleichzeitig anzog.
»Charles Dickens«, sagte sie.
»Der Schriftsteller. Ich bin nicht mit ihm verwandt.«
»Ach so«, sagte er. »Ich...
Ich lese nicht viel.«
»Nein?« Sie machten sich auf
den Weg den Hügel hinunter. Sie hakte sich bei ihm ein, während sie sich von
Tess ziehen ließ. »Das werden wir aber ändern müssen.«
JULI
1
Als Meredith Powell aufwachte
und das Datum auf ihrem Digitalwecker sah, registrierte sie innerhalb weniger
Sekunden vier Dinge: Es war ihr sechsundzwanzigster Geburtstag, sie hatte sich
einen Tag freigenommen, es war der Tag, für den ihre Mutter der einzigen
Enkelin ein Abenteuer in Aussicht gestellt hatte, und somit war dieser Tag die
perfekte Gelegenheit, sich bei ihrer besten und ältesten Freundin zu
entschuldigen für einen Streit, der dazu geführt hatte, dass sie seit fast
einem Jahr keinen Kontakt mehr hatten. Die letzte Erkenntnis war der Tatsache
geschuldet, dass diese beste und älteste Freundin am selben Tag Geburtstag
hatte wie Meredith selbst. Seit sie sechs Jahre alt gewesen waren, waren sie
beide unzertrennlich gewesen, und seit ihrem achten Lebensjahr hatten sie jeden
Geburtstag gemeinsam gefeiert. Meredith wusste, wenn sie sich heute nicht mit
Jemima versöhnte, würde sie es wahrscheinlich nie tun, und dann würde eine
Tradition, die ihr immer am Herzen gelegen hatte, für immer verloren sein. Das
wollte sie nicht. Gute Freundinnen fand man nicht alle Tage.
Wie genau diese Versöhnung
aussehen sollte, war eine andere Frage, über die Meredith beim Duschen
nachdachte. Sie entschied sich für einen Geburtstagskuchen, und zwar einen
selbst gebackenen. Sie würde nach Ringwood fahren und Jemima den Kuchen
überreichen, sich entschuldigen und eingestehen, dass sie ihrer Freundin
unrecht getan hatte. Allerdings würde sie mit keinem Wort Jemimas Lebensgefährten
erwähnen, der Auslöser für den Streit gewesen war. Meredith war davon
überzeugt, dass dies ohnehin zwecklos wäre. Sie musste sich einfach damit
abfinden, dass Jemima in Bezug auf Männer eine unverbesserliche Romantikerin
war, wohingegen sie, Meredith, aus Erfah rung wusste, dass Männer im Prinzip nur Tiere in
Menschengestalt waren. Sie brauchten Frauen als Sexobjekte, Muttertiere und
Haushälterinnen. Wenn sie das wenigstens offen zugäben, statt so zu tun, als
sehnten sie sich nach etwas anderem, dann könnten Frauen sich wenigstens
entscheiden, wie sie ihr Leben gestalten wollten, anstatt sich einzubilden, es
ginge um Liebe.
Für das Konzept »Liebe« hatte
Meredith nur Verachtung übrig. Sie hatte es ausprobiert und hinter sich
gelassen, und das Ergebnis war Cammie Powell: fünf Jahre alt, der Augenstern ihrer
Mutter und vaterlos - woran sich voraussichtlich auch nichts mehr ändern würde.
Cammie trommelte gerade mit
den Fäusten gegen die Badezimmertür und schrie: »Mummy! Mummy! Oma sagt, wir gehen
heute zu den Ottern, und wir essen Eis und Hamburger. Kommst du auch mit? Da
gibt's nämlich auch Eulen. Sie sagt, irgendwann gehen wir mal zur Igelklinik,
aber da muss man übernachten, und sie sagt, dafür bin ich noch zu klein. Sie
denkt, ich würde dich vermissen, das hat sie gesagt, aber du könntest doch
einfach mitkommen, oder? Oder, Mummy? Mummy!«
Meredith lachte in sich
hinein. Cammie redete immerzu wie ein Wasserfall und hörte meistens erst auf,
wenn Schlafenszeit war. Während sie sich abtrocknete, rief sie durch die
Badezimmertür: »Hast du schon gefrühstückt, mein Schatz?«
»Nein, hab ich vergessen.«
Meredith hörte, wie ihre Tochter mit den Pantoffeln auf dem Fußboden scharrte.
»Oma sagt, die haben Junge. Klitzekleine Otter. Sie sagt, wenn die Mutter
stirbt oder wenn sie gefressen wird, dann brauchen die Jungen jemanden, der
sich um sie kümmert, und das machen die da in dem Park. Im Otterpark. Was für
Tiere fressen Otter, Mummy?«
»Keine Ahnung, Cammie.«
»Es muss aber Tiere geben, die
Otter fressen. Alle Tiere werden gefressen. Mummy? Mummy?«
Meredith schlüpfte in ihren
Morgenmantel und öffnete die Tür. Cammie sah genauso aus, wie ihre Mutter in
dem Alter ausgesehen hatte. Sie war zu groß für ihre fünf Jahre und, ebenso wie Meredith, viel zu dünn.
Ein Segen, dachte
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