George, Elizabeth
hatte sich lang und breit darüber ausgelassen, was es bedeutete, zu
den Sanftmütigen zu gehören. Als Meredith nicht locker gelassen hatte, hatte
sie ihr schließlich verraten, dass Lexie zurzeit im Jean Michel's den Kundinnen die Haare wusch.
»Es gibt gar keine Jean Michel«, sagte sie streng. »Das ist eine glatte Lüge,
und das verstößt gegen Gottes Gebote.«
Im Friseurladen bearbeitete
Lexie gerade mit Inbrunst den Kopf einer dicken Frau, die bereits mehr als
genug Sommersonne getankt hatte und definitiv zu viel Fleisch zeigte, um diese
besorgniserregende Tatsache zur Schau zu stellen. Während Meredith wartete,
fragte sie sich, ob Lexie vorhatte, eine Friseurlehre zu machen. Sie konnte nur
hoffen, dass dies nicht der Fall war, denn wenn die Frisur des Mädchens
irgendetwas über ihr Talent auf diesem Gebiet verriet, dann würde niemand, der bei
Sinnen war, sie auch nur in die Nähe seines Kopfs lassen - zumindest nicht,
solange sie mit Schere oder Haarfärbemittel bewaffnet war. Ihre Haare waren
pink, blond und blau und entweder raspelkurz geschnitten - unwillkürlich
drängte sich die Assoziation mit Kopfläusen auf - oder einfach abgebrochen nach
all der Misshandlung durch Bleichmittel und Farbe.
»Sie hat mich irgendwann
angerufen«, sagte Lexie, als Meredith sie endlich für sich allein hatte. Sie
hatte warten müssen, bis Lexie Pause machte, und es hatte sie eine Cola
gekostet, aber das war in Ordnung, sofern diese minimale Investition ihr maximale
Information einbrachte. »Ich dachte, ich war fleißig gewesen und alles, aber
dann ruft sie mich auf einmal an und sagt, ich brauch am nächsten Tag nich mehr
zur Arbeit zu kommen. Ich hab sie gefragt, ob ich was falsch gemacht hätte,
vielleicht zu nah an der Tür 'ne Kippe geraucht oder so, aber sie sagt nur...
na ja... >Nein, es hat nichts mit dir zu tun.< Also nehm ich an, es hat
was mit meinen Eltern zu tun, mit diesem ganzen Bibelgetue, wissen Sie, und
diesem Zeug, was meine Mum dauernd schreibt. Vielleicht hat sie ihr mal so
'nen Zettel unter den Scheibenwischer geklemmt. Aber sie sagt nur: >Es hat
mit mir zu tun, nicht mit dir. Und auch nicht mit deinen Eltern. Es hat sich
alles geänderte Ich hab gefragt, was denn, aber das wollte sie mir nich sagen.
Sie hat gesagt, es tut ihr leid, und ich soll sie nich weiter fragen.«
»Ist das Geschäft schlecht
gelaufen?«, wollte Meredith wissen.
»Nee, ich glaub nich. Es waren
immer Leute da, die was gekauft haben. Wenn Sie mich fragen, ich fand es total
komisch, dass sie dichtmachen wollte, is doch klar. Also hab ich sie 'ne Woche
drauf noch mal angerufen. Oder vielleicht später, weiß ich nich mehr genau. Ich
hab sie auf ihrem Handy angerufen, aber da is nur die Mailbox angesprungen. Ich
hab ihr Nachrichten hinterlassen, mindestens zwei. Aber sie hat mich nicht ein
einziges Mal zurückgerufen, und als ich's dann noch mal versucht hab, da war...
überhaupt kein Ton. Als hätte sie ihr Handy verloren oder so.«
»Hast du auch bei ihr zu Hause
angerufen?«
Lexie schüttelte den Kopf. Sie
knibbelte an einer verschorften Wunde an ihrem Arm. Sie fügte sich selbst
Schnittwunden zu, das wusste Meredith, denn Lexies Tante gehörte die Firma für Grafikdesign,
bei der Meredith so lange arbeiten wollte, bis sie in die Branche einsteigen
konnte, die sie wirklich interessierte, nämlich Stoffdesign, und da Meredith
Lexies Tante sehr bewunderte und da Lexies Tante sich ständig Sorgen um Lexie
machte und über sie redete und sich fragte, ob es nicht irgendeine Möglichkeit
gebe, Lexie dazu zu verhelfen, dass sie wenigstens ein paar Stunden täglich aus
dem Haus kam und weg von ihren halb durchgedrehten Eltern, hatte Meredith Lexie
irgendwann ihrer Freundin Jemima empfohlen, als die eine Mitarbeiterin suchte.
Geplant war, dass Lexie Jemima erst bei der Einrichtung des Ladens und dann
hinter der Theke helfen sollte. Jemima konnte nicht alles allein bewältigen,
Lexie brauchte den Job, und Meredith wollte bei ihrer Chefin punkten. Es
schien das perfekte Arrangement zu sein.
Aber irgendetwas war offenbar
schiefgelaufen. Meredith fragte: »Du hast also nicht mit... ihm gesprochen? Sie hat nichts von
zu Hause erzählt? Und du hast sie auch nicht dort angerufen?«
Lexie schüttelte den Kopf.
»Ich dachte einfach, sie wollte mich nich haben«, sagte sie. »Die meisten
wollen mich nich haben.«
Also musste Meredith zu Jemima
nach Hause fahren. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Die Vorstellung gefiel
ihr nicht
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