George Soros: Gedanken und Lösungsvorschläge zum Finanzchaos in Europa und Amerika
geben, könnte der Plan entsprechend abgewandelt werden. Zum Beispiel hätte die EFSF genügend Kapital, um die obersten 25 Prozent aller ausgegebenen kurzfristigen Anleihen gemäß dem Plan zu verbürgen und trotzdem noch 100 Prozent der kurzfristigen Anleihen zu verbürgen, die der EZB angedient werden. Die italienische Zentralbank könnte sich nämlich bereit erklären, diese Anleihen sofort aufzukaufen und an ihrer Stelle neue auszugeben.
Als ich diese Lösung im Oktober erstmals vorgeschlagen habe, bestätigten die Behörden zwar, sie sei machbar, aber sie seien schon zu weit mit den Möglichkeiten fortgeschritten, die EFSF zu hebeln, um ihre Anstrengungen neu auszurichten. Nachdem nun alle ihre Versuche, die EFSF zu hebeln, gescheitert sind, sollten sie ernsthaft und sofort über meinen Vorschlag nachdenken. Das kann nicht warten. Man sollte nicht zulassen, dass die längerfristigen Probleme, die durch Großbritanniens Widerspruch gegen den vorgeschlagenen Finanzpakt erzeugt werden, ihn überschatten. Die Finanzkrise schwärt weiter und fügt der Wirtschaft schweren Schaden zu.
Mein Vorschlag könnte über Scheitern oder Gelingen entscheiden – und die offiziellen Stellen der Eurozone müssen dringend einen Erfolg verbuchen, um die Märkte gegen eine mögliche Pleite Griechenlands im Frühjahr 2012 zu stärken.“
Die europäischen Finanzbehörden haben diesen Plan zugunsten der langfristigen Refinanzierungsgeschäfte (LRG) der Europäischen Zentralbank abgelehnt, die den europäischen Banken – nicht den Staaten selbst – bis zu drei Jahre lang unbegrenzte Liquidität bereitstellen. Sie erlauben es italienischen und spanischen Banken, Staatsanleihen ihres eigenen Landes zu kaufen und damit einen sehr profitablen „Carry Trade“ zu betreiben. Dabei leiht man sich zu niedrigen Zinsen Geld, um sich etwas zu kaufen, das höhere Zinsen abwirft. Mit diesen Anleihen gehen sie dabei praktisch kein Risiko ein, denn wenn das Land zahlungsunfähig würde, wären die Banken sowieso insolvent.
Der Unterschied zwischen diesen beiden Plänen besteht darin, dass meiner die Zinskosten der Staaten sofort vermindern würde, während der tatsächlich eingeführte dazu führt, dass die Länder und ihre Banken immer noch am Rande einer potenziellen Insolvenz stehen. Ich bin nicht sicher, ob die Behörden damit absichtlich die Krisenstimmung verlängert haben, um den Druck auf die hoch verschuldeten Länder aufrechtzuerhalten, oder ob sie durch verschiedene Sichtweisen, die sie auf keine andere Weise miteinander versöhnen konnten, zu dieser Handlungsweise getrieben wurden. Als Schüler von Karl Popper sollte ich mich eigentlich für die zweite Alternative entscheiden. Es ist nicht folgenlos, welche Interpretation die richtige ist, denn der Padoa-Schioppa-Plan steht immer noch im Raume und könnte jederzeit umgesetzt werden, solange die verbleibenden Mittel der EFSF noch nicht anderweitig verplant sind.
In beiden Fällen diktiert Deutschland die europäische Politik, denn in Krisenzeiten sind die Gläubiger am Drücker. Das Problem ist nur, dass die Kürzungen der Staatsausgaben, die Deutschland anderen Ländern verordnen will, Europa in eine deflationäre Schuldenfalle drängen werden. Eine Senkung der Haushaltsdefizite wird sowohl auf die Löhne als auch auf die Gewinne Abwärtsdruck ausüben, die Volkswirtschaften werden schrumpfen und die Steuereinnahmen werden zurückgehen. Somit wird die Schuldenbelastung – ausgedrückt als Verhältnis der angehäuften Schulden zum BIP – dadurch in Wirklichkeit steigen, was weitere Haushaltskürzungen notwendig macht und so einen Teufelskreis in Gang setzt.
Natürlich werfe ich Deutschland nicht vor, dass es böswillig handeln würde. Es ist von der Politik, die es verficht, ehrlich überzeugt und es ist die erfolgreichste Volkswirtschaft Europas. Wieso sollte nicht der Rest Europas genauso sein? Aber damit strebt es etwas Unmögliches an: In einem geschlossenen System wie dem Euro-Verrechnungssystem können nicht alle zur gleichen Zeit Gläubiger sein. Die Tatsache, dass Deutschland eine kontraproduktive Politik verordnet, erzeugt eine sehr gefährliche politische Dynamik. Sie wird die Mitgliedsländer nicht enger zusammenrücken lassen, sondern sie zu gegenseitigen Schuldzuweisungen veranlassen. Es besteht die echte Gefahr, dass der Euro den politischen Zusammenhalt der Europäischen Union untergräbt.
Die Entwicklung der Europäischen Union nimmt einen Verlauf, der sehr
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