Georgette Heyer
Oh, Hero, in welche
neue Verlegenheit bist du wieder geraten?»
«Nun, ich
muß sagen, Isabella, das ist doch die Höhe! Daß du mich beschuldigst, in
der Tinte zu sitzen, wenn du dich in einer weit schlimmeren Lage befindest!»
sagte Hero. «Ich kann nicht verstehen, wie du mit Sir Montagu Revesby im Lande
umherkutschieren kannst, denn ich weiß bestimmt, daß sich das nicht gehört!»
«Sir
Montagu und ich», sagte Miss Milborne errötend, «befanden uns in Gesellschaft
einiger meiner Freunde auf einem Ausflug in Wells.»
«Ach, und
wo sind sie denn, deine Freunde?» fragte Hero, nicht unbegründet. «Weißt du,
Isabella, ich habe alles mitangehört, was sich eben zwischen dir und Sir
Montagu ereignet hat, aber obwohl ich ganz genau weiß, daß dich an dem Unfall
mit dem Wagen keine Schuld trifft, kann man nicht leugnen, daß du dich in einer
recht mißlichen Lage befindest. Und du kannst sagen, was du willst, ich bin
dennoch überzeugt, daß es eine Person gibt, von der du nicht wolltest,
daß sie etwas davon. erführe. Denn so herzlos bist du nicht, um ihm einen
solchen Schmerz zu bereiten, ich weiß, du bist es nicht!»
Miss
Milborne, die müde und durchfroren war und stärker erschüttert, als sie sich
anmerken ließ, fühlte plötzlich, daß Tränen unter ihren Augenlidern brannten;
sie verhüllte ihr Antlitz mit den Händen und sagte mit bebender Stimme: «O
Hero, nicht! Bitte, sprich nicht weiter!»
Hero lief
sogleich auf sie zu. «Oh, bitte entschuldige. Liebste Isabella, bitte weine
nicht. Ich wollte dir nicht weh tun, wirklich, das wollte ich nicht!»
Sir Montagu
sagte mit seidigster Stimme: «Sehr rührend, Lady Sheringham. Und wo, wenn ich
bitten darf, befindet sich Ihr Gatte? Wohl nicht hier, wie ich annehme. In der
Tat war er, wie ich hörte, in letzter Zeit nicht übertrieben oft in Ihrer
Gesellschaft. Sie waren meine entschiedenste Feindin, nicht wahr? Ich möchte
nur wissen, ob Sie das nicht eines Tages bereuen werden. Und wissen Sie auch,
daß ich fast glauben möchte, daß es der Fall sein wird? Wäre es zuviel
verlangt, hoffen zu dürfen, einen Blick auf den Kavalier werfen zu können, der
sich ohne Zweifel in dem Privatsalon verbirgt?»
«Nein!»
sagte Tarleton von der Türschwelle. «Es ist nicht zuviel verlangt, Sir!» Mit diesen
Worten landete er eine äußerst brauchbare Rechte auf Sir Montagus Kinnspitze,
die ihn krachend zu Boden stürzen ließ. «Stehen Sie auf, damit Sie noch etwas
mehr von dieser Hausmannskost
erhalten können!» rief er, während er mit geballten Fäusten über Sir Montagu
gebeugt dastand.
Sir Montagu
hatte einen recht bösen Tag hinter sich. Es war ihm weder mit anständigen noch
mit unanständigen Mitteln gelungen, sich der Hand der reichen Erbin zu
bemächtigen; es war ihm eine recht ansehnliche Nadel in den fleischigen Teil
seines Armes gestochen worden; er war gezwungen gewesen, drei Meilen einer
unbeschreiblich schlammigen Straße neben einer Dame zu gehen, die während des
ganzen mühseligen Marsches eisiges Schweigen bewahrte, und neben einem
Bauernlümmel, den sie bestochen hatte, sie zum nächsten Postgasthof zu führen;
nachher mußte er der Person die Stirne bieten, der er den größten Teil seines
Mißgeschicks zuschrieb; und schließlich war er noch schmerzhaft und schmählich
von einem ganz fremden Menschen niedergeboxt worden, der nur darauf zu warten
schien, diese Heldentat zu wiederholen. Schwankend zwischen wütendem Zorn und
der natürlichen Angst eines Mannes, dem körperliche Gewalt jederzeit ein Greuel
gewesen war, verlor er völlig den Kopf. Sein Spazierstock war gemeinsam mit
dem Stuhl, auf den er ihn gelegt hatte, zu Boden gefallen, da er sich bei
seinem Sturz wild an ihn geklammert hatte. Er griff nach ihm, zog sich in die
Höhe, tastete an dem geschnitzten Elfenbeingriff herum, und als Mr. Tarleton
ihm gegenüber die zweckentsprechende Boxstellung einnahm, riß er die verborgene
Klinge aus der unschuldig aussehenden Scheide und stach auf seinen Angreifer
los. Mr. Tarleton bemerkte die Gefahr gerade um einen Bruchteil zu spät, um den
Stich ganz abwehren zu können. Als er den Angriff kommen sah, wich er ihm aus,
so daß die Klinge, anstatt seine Brust zu durchbohren, lediglich durch den
Ärmel seines Rockes drang und ihm eine tiefe Fleischwunde am Oberarm zufügte.
Im nächsten Augenblick war er mit Sir Montagu aneinandergeraten, entwand ihm
den Stockdegen und boxte ihn erneut zu Boden. Hierauf blieb er atemlos stehen
und versuchte
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