Georgette Heyer
keine Beweise gäbe. So lebte er in marternder Ungewißheit.» Avon
klappte seinen Fächer. zu. «Meine Heldin wurde von ihrem Vormund nach England
gebracht und lernte dort wieder ein Mädchen sein. Sie blieb auf einer der
Besitzungen ihres Vormunds unter der Obhut einer Verwandten zurück. Nach und
nach, Messieurs, lernte sie an ihrem Mädchentum Gefallen finden und,
teilweise, die Schrecken der Vergangenheit vergessen. Da kam Kain nach
England, Messieurs.» Seine Gnaden nahm eine Prise. «Wie ein Dieb», sagte er mit
sanfter Stimme. «Er raubte meine Heldin, betäubte sie mit Drogen und brachte
sie zu seiner Jacht, die ihn in Portsmouth erwartete.»
«Du
guter Gott!» ächzte Madame de Vauvallon.
«Es wird
ihm mißlingen!» flüsterte Davenant plötzlich. «Saint-Vire hat sich meisterlich
in der Hand.»
«Sieh seine
Frau an!» gab Marling zurück.
Seine
Gnaden schnipste ein weiteres Krümelchen Schnupftabak von seinem goldenen
Ärmel.
«Ich will
Sie nicht mit dem Bericht von der Flucht meiner Heldin ermüden», sagte er. «Es
trat ein dritter Spieler auf den Plan, der schnellen Fußes die Verfolgung
aufnahm, um sie zu retten. Es gelang ihr, mit ihm zu entfliehen, doch erst
nachdem Kain dem Retter eine Kugel in die Schulter geschossen hatte. Ob der
Schuß ihm oder ihr galt, weiß ich nicht.»
Saint-Vire
machte eine hastige Bewegung, hielt sich jedoch dann wieder im Zaum.
«Daß solche
Bösewichte sich noch ihres Lebens erfreuen!» brach es aus de Châtelet hervor.
«Die
Verwundung, Messieurs, war schwer und zwang die Flüchtenden, ein kleines
Gasthaus, nur wenige Meilen von Le Havre entfernt, aufzusuchen.
Glücklicherweise fand sie der Vormund meiner Heldin dort, zwei Stunden bevor
der unermüdliche Kain eintraf.»
«Er traf
also tatsächlich ein?» fragte de Sally.
«Zweifelten
Sie denn daran?» lächelte Seine Gnaden. «Bien sûr; er traf ein, um zu
entdecken, daß ihm das Schicksal abermals einen Streich gespielt hatte. Doch er
behauptete damals, Messieurs, daß das Spiel noch nicht zu Ende gespielt sei.
Danach – äh – zog er sich zurück.»
«Scélérat!» brauste Condé auf,
und nachdem er einen kurzen Blick auf Madame de Saint-Vire geworfen hatte, die
in ihrem Stuhl zusammengesunken war, heftete er seine Augen wieder auf den
Herzog.
«Gewiß,
Prinz», bestätigte Seine Gnaden gelassen. «Kehren wir nun wieder nach Paris
zurück, wo der Vormund seine Heldin der großen Welt präsentierte. Schweige,
Armand, ich nähere mich bereits dem Ende meiner Geschichte. Sie erregte kein
geringes Aufsehen, lassen Sie mich Ihnen versichern, denn sie war keine
alltägliche Debütantin. Manchmal war sie, Messieurs, wie ein kleines Kind, und
doch war ihr große Weisheit und noch größerer Geist zu eigen. Ich könnte
stundenlang von ihr erzählen, will jedoch nur sagen, daß sie ein kleines
Teufelchen an Temperament war, dabei sehr freimütig, sehr schalkhaft und sehr
schön.»
«Und treu!»
warf Condé rasch ein.
Seine
Gnaden neigte das Haupt.
«Und treu,
Prinz, ich weiß es. Um es kurz zu machen: ihre Ähnlichkeit mit Kain begann
Paris aufzufallen. Damals muß ihn Schrecken erfaßt haben, Messieurs. Doch
eines Tages kam es dem Kind zu Ohren, daß die Welt sie für eine illegitime
Tochter Kains hielt.» Er hielt inne und hob das Taschentuch an seine Lippen.
«Messieurs, sie liebte den Mann, der ihr Vormund war», sagte er, ohne die
Stimme zu erheben. «Sein Ruf war in nicht wiedergutzumachender Weise
beschmutzt, doch in ihren Augen war er keiner bösen Tat fähig. Sie nannte ihn
ihren Seigneur.»
Saint-Vire
hatte seine Zähne in die Unterlippe verbissen, doch er saß vollkommen reglos,
anscheinend nur mit flüchtigem Interesse lauschend. Viele entsetzte Blicke
ruhten auf ihm, doch er rührte sich nicht. Rupert streichelte, auf der Schwelle
stehend, liebevoll das Heft seines Degens.
«Als das
Kind erfuhr, wofür die Welt es hielt», fuhr Avon fort, «begab es sich in Kains
Haus und fragte Kain, ob es tatsächlich seine illegitime Tochter sei.»
«Ja? Allons!» rief Condé.
«Er
erfaßte, Messieurs, daß ihm das Schicksal endlich gnädig gesinnt sei. Er sagte
dem Kind, dies stimme.» Avon erhob seine Hand, als Armand aufsprang. «Er
drohte, Messieurs, sie vor der Welt als seinen Bastard – und als des anderen
Mannes Mätresse anzuprangern. Er sagte ihr – er war ihr Vater, Messieurs –, er
würde es tun, damit ihr Vormund gesellschaftlich ruiniert werde; habe er doch
gewagt, sein unehelich geborenes
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