Georgette Heyer
will mir gar nicht
gefallen.»
Seine
Gnaden klappte die Schnupftabakdose zu und schnipste ein Krümelchen Tabak von
einer seiner großen Manschetten.
«Meine
Geschichte, Madame, beginnt, wie alle guten Geschichten beginnen sollen»,
sagte er, und seine Stimme trug, obgleich er leise sprach, durch den ganzen
Raum. «Es war einmal – ein Brüderpaar. Ich habe ihre Namen vergessen, aber da
sie einander haßten, will ich sie Kain und – äh – Abel nennen. Ich habe keine
Ahnung, ob der ursprüngliche Abel den ursprünglichen Kain haßte, bitte aber,
mich diesbezüglich nicht aufzuklären. Mir schien es naheliegend, daß dem so
war. Wenn Sie mich fragen, wieso dieser Haß zwischen den Brüdern entbrannte,
kann ich nur vermuten, daß er von den Köpfen der beiden stammte. Ihr Haar war
so flammend, daß wohl ein Teil dieses Feuers in ihr Gehirn übergegriffen
hatte.» Seine Gnaden entfaltete seinen Fächer und blickte gelassen Armand de
Saint-Vire ins Gesicht, auf dessen Zügen sich wachsendes Erstaunen malte.
«Gewiß war dies der Fall. Der Haß steigerte sich dermaßen, daß, wie ich
glaube, jeder der beiden Brüder dem anderen alles zum Trotz tat. Kain war von
dieser Idee regelrecht besessen, er wurde in der verhängnisvollsten Weise eine
Beute der Tollheit, wie ich Ihnen dartun werde. Meine Geschichte ist nicht ohne
eine gewisse Moral, wie Sie zu Ihrer Erbauung bemerken werden.»
«Was in aller
Welt soll dies heißen?» flüsterte Lavoulère einem Freund zu. «Ist dies ein
Märchen, oder liegt etwas dahinter?»
«Ich weiß
es nicht. Ich frage mich nur, wie er es zustande bringt, die Zuhörerschaft so
still zu halten?»
Seine
Gnaden fuhr fort, langsam und leidenschaftslos.
«Kain, der
ältere der beiden Brüder, trat zu gegebener Zeit die Nachfolge seines Vaters
an, eines Grafen, als dieser den Weg alles Fleisches ging. Wenn Sie sich
einbilden, daß nunmehr die Feindschaft zwischen ihm und Abel ein Ende fand, so
erlauben Sie, daß ich Ihren gesunden Menschenverstand eines Besseren belehre.
Kains Nachfolge lieferte dem Feuer des Hasses nur neue Nahrung, und während
unser Freund Abel vom Wunsch verzehrt wurde, in die Fußstapfen seines Bruders
zu treten, wurde Kain vom ebenso heftigen Wunsche verzehrt, ihn davon abzuhalten.
Eine Situation, die allerlei Möglichkeiten in sich schließt, wie Sie bemerken
werden.» Er hielt inne und fixierte seine Zuhörer; sie wiederum betrachteten
ihn sowohl mit Bestürzung wie mit Neugier. «Dieses Lebensziel vor Augen, nahm
unser wackerer Freund Kain ein Weib und hielt sich nun zweifellos gefeit. Doch
das Schicksal, diese launische Göttin, war ihm sichtlich ungnädig gesinnt, denn
die Jahre schwanden dahin, ohne daß ein Sohn geboren wurde, um Kains Herz zu
erfreuen. Erfassen Sie Kains Kummer? Abel jedoch jubelte mehr und mehr, und er
zögerte, wie ich fürchte, nicht, seines Bruders Mißgeschick zur Zielscheibe
seiner – äh – Scherze zu machen. Vielleicht recht unklug von ihm.» Seine Gnaden
warf einen Blick auf Madame de Saint-Vire, die stocksteif und totenbleich neben
Lady Fanny saß. Rhythmisch begann sich Seine Gnaden zu fächeln. «Ich glaube,
eines Tages kam Kains Weib mit einem totgeborenen Kind nieder. Es begann
unwahrscheinlich zu werden, daß Kain sein Lebensziel verwirklichen könne, doch
noch einmal, und ganz gegen Abels Erwartung, konnte Madame la Comtesse ihrem
Gatten Hoffnung auf Nachwuchs schenken. Diesmal beschloß Kain, einem Versagen
vorzubeugen. Möglicherweise hatte er gelernt, seinem Glück zu mißtrauen. Als
Madames Zeit gekommen war, brachte er sie auf seinen Landsitz, wo sie von einer
Tochter entbunden wurde.» Abermals machte er eine Pause und blickte zu
Saint-Vire hinüber. Er sah, wie der Graf verstohlen die Tür ins Auge faßte und
sich zornig verfärbte, als er Rupert dort gewahrte. Seine Gnaden lächelte und
ließ sein Lorgnon am Band hin und her schwingen. «Einer Tochter. Merken Sie
nun, zu welcher List Kain griff. Auf seinem Besitz lebte ein Landmann oder Ähnliches
– vielleicht stand er auch in Kains Diensten –, dem sein Weib eben einen
zweiten Sohn geschenkt hatte. So stellte das Schicksal, oder der Zufall, Kain
eine Falle, in die er hineintappte. Er bestach den Pächter, ihm im Austausch
für seine Tochter den stämmigen Sohn zu geben.»
«Wie
schändlich!» rief Madame de Vauvallon behaglich aus. «Sie entsetzen mich,
Herzog!»
«Haben Sie
Geduld mit mir, Madame. Die Moral von der Geschichte kommt erst. Der Austausch
wurde also
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