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Georgette Heyer

Georgette Heyer

Titel: Georgette Heyer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Page und die Herzogin
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an.
    «Ich bitte
ergebenst um Entschuldigung, Sie stören zu müssen, Madame»,
verneigte sich Walker. «Ich habe lediglich Léon gesucht.»
    Léon drehte
sich herum, um ihm ins Gesicht zu blicken.
    «Ich bin
nicht zu übersehen, Walker», sagte er.
    Walkers
Züge verzerrten sich schmerzlich. Léon war der einzige vom Hauspersonal,
der ihn schlicht bei seinem Namen nannte.
    «Seine
Gnaden hat mich soeben zu sich gebeten, um mir mitzuteilen, daß er
morgen nach London verreist. Ich komme dich mahnen, Léon, dich
bereitzuhalten, um ihn zu begleiten.»
    «Pah, das
hat er mir schon heute morgen gesagt», erwiderte Léon verächtlich.
    Madame
nickte.
    «Ja, und
nun ist er gekommen, um bei mir ein letztes Stück Kuchen zu essen, le
petit.» Sie seufzte tief auf. «Es zerreißt mir das Herz, wenn ich dran
denke, dich zu verlieren, Léon. Aber du – du freust dich, du Undankbarer!»
    «Ich bin
noch nie in England gewesen, wissen Sie», entschuldigte sich Léon. «Und
ich bin schrecklich aufgeregt, ma mère.»
    «Ah,
c'est cela! So
aufgeregt, daß du die dicke alte Madame Dubois ganz
vergessen wirst.»
    «Nein, das
werde ich bestimmt nicht tun, ich schwör's! Walker, wollen Sie
nicht auch ein Stück von Madames Kuchen?»
    Walker
richtete sich kerzengerade auf.
    «Nein,
danke.»
    «Voyons, er verachtet Ihre
Kunst, ma mère!» kicherte Léon.
    «Ich
versichere Ihnen, Madame, daß dies nicht der Fall ist.» Walker verneigte
sich vor ihr und zog sich zurück.
    «Er sieht
einem Kamel ähnlich», bemerkte der Page gelassen.
    Er
wiederholte am nächsten Morgen diese Bemerkung vor dem Herzog, als
sie, in der Kutsche sitzend, Calais zustrebten.
    «Einem
Kamel?» fragte der Herzog. «Wieso?»
    «Naja ...»
Léon rümpfte sein Näschen. «Vor langer Zeit sah ich einmal eins,
und ich erinnere mich, daß es genauso wie Walker dahinstolzierte, mit
sehr hochgetragenem Kopf und einem Lächeln – unendlich würdevoll,
Monseigneur, verstehen Sie?»
    «Vollkommen»,
gähnte Seine Gnaden und ließ sich in seinen Winkel zurückfallen.
    «Glauben
Sie, daß mir England gefallen wird, Monseigneur?» fragte Léon
plötzlich.
    «Wir wollen
es hoffen, mein Kind.»
    «Und – und
glauben Sie, daß ich auf dem Schiff seekrank sein werde?»
    «Ich glaube
nicht.»
    «Ich auch
nicht», sagte Léon unterwürfig.
    Und die
Reise verlief wirklich völlig ereignislos. Eine Nacht verbrachten sie auf dem
Wege nach Calais und schifften sich am nächsten Tag auf einem Nachtboot ein.
Der Herzog schickte den sehr widerstrebenden Léon in seine Kabine und verbot
ihm, diese zu verlassen. Avon blieb, vielleicht zum erstenmal bei seinen
Überfahrten über den Kanal, an Deck. Einmal begab er sich in die winzige Kabine
hinunter und hob Léon, den er in tiefem Schlummer auf einem Sessel liegend
antraf, empor, um ihn sanft auf eine Koje zu betten; er deckte ihn mit einem
Fell zu. Dann ging er wieder nach oben und schritt bis zum Morgen auf dem Deck
hin und her.
    Als Léon in
der Frühe an Deck kam, stellte er mit Entsetzen fest, daß sein Herr die ganze
Nacht dort verbracht hatte. Avon zog ihn an einer seiner Locken und legte sich
nach dem Frühstück in die Kabine schlafen, bis Dover erreicht war. Dann tauchte
er auf und begab sich mit geziemender Lässigkeit an Land, von Léon auf den
Fersen gefolgt. Gaston war als einer der ersten ausgeschifft worden und hatte
zu dem Zeitpunkt, da der Herzog das auf dem Kai liegende Gasthaus betrat, den
Wirt bereits zu höchster Betriebsamkeit angespornt. Ein Privatzimmer erwartete
sie, das Mittagmahl stand auf dem Tisch..
    Léon
beäugte die Gerichte leicht mißbilligend und einigermaßen erstaunt. Auf dem
einen Ende des Tisches stand ein Lendenbraten, flankiert von Schinken und
Truthahn, auf dem anderen Ende eine fette Ente, umgeben von Pasteten und
Puddings. Eine bauchige Flasche enthielt Burgunder, ein großer Krug schäumendes
Bier.
    «Nun,
Léon?»
    Léon wandte
sich um. Der Herzog war eingetreten und stand, sich fächelnd, hinter ihm. Léon
maß den Fächer mit einem strengen Blick, und als Avon das verdammende Urteil in
seinen Augen las, lächelte er.
    «Der Fächer
findet keine Gnade bei dir, Kind?»
    «Er gefällt
mir gar nicht, Monseigneur.»
    «Dies
betrübt mich zutiefst. Was hältst du von unseren englischen Gerichten?»
    Léon
schüttelte den Kopf.
    «Schrecklich,
Monseigneur. Sie sind – sie sind barbares!»
    Der Herzog
lachte und trat an den Tisch. Sofort bewegte sich Léon auf ihn zu, um sich
hinter seinen Stuhl zu

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