Geräusch einer Schnecke beim Essen
mich befallen hatte, war auf seine ganz eigene Weise auch ein Autor: Er schrieb die Anweisungen um, die innerhalb der einzelnen Zellen meines Körpers befolgt werden, und damit schrieb er letztlich mein gesamtes Leben um und erklärte fast all meine Zukunftspläne für null und nichtig.
Meine Krankheit hatte mit grippeartigen Symptomen und einer partiellen Lähmung der Skelettmuskulatur begonnen. Binnen weniger Wochen hatte sie sich zu einem systemischen lähmungsartigen Schwächezustand mit lebensbedrohlichen Komplikationen ausgewachsen. Nach einer langsamen, teilweisen Genesung über einen Zeitraum von drei Jahren erlitt ich mehrere schwere Rückfälle. Mit Hilfe diverser Spezialuntersuchungen wurde schließlich eine autoimmun bedingte Dysautonomie diagnostiziert, eine Funktionsstörung des vegetativen Nervensystems, die eine Lähmung des Kreislaufsystems und Magen-Darm-Trakts bewirken kann.
Eine Dysautonomie kann dazu führen, dass man kaum stehen oder aufrecht sitzen kann, weil die Blutgefäße den Kreislauf nicht gegen die Schwerkraft in Gang halten können. Astronauten haben dieses Problem, wenn sie wieder in das Gravitationsfeld der Erde zurückkehren. Am einen Ende des Spektrums einer solchen «orthostatischen Intoleranz» steht die Synkope: Der oder die Betroffene steht auf und wird sofort ohnmächtig. Am anderen Ende stehen Fälle wie meiner: Der aufgerichtete Körper wird, während er vergebens versucht, den nötigen Blutdruck aufrechtzuerhalten, immer schwächer. Die Fähigkeit, eine aufrechte Körperhaltung einzunehmen, ist eine relativ neue evolutionäre Anpassung, und sie ist immer noch erstaunlich fragil. Das Gewicht der Welt lastet nicht nur metaphorisch gesprochen auf mir, sondern im ganz wörtlichen Sinne. Waagerechte Flächen sind meine Rettungskissen auf meinem Weg durchs Leben.
Darüber hinaus wurde ein Chronisches Erschöpfungssyndrom (CES) diagnostiziert, auch als Myalgische Enzephalomyelitis (ME) bekannt, ein unpassend benanntes, postinfektiöses Leiden, das mit einem dauerhaft reduzierten Blutvolumen, Störungen des vegetativen Nervensystems und deaktivierten Genen einhergeht.
Im siebten Jahr meiner Krankheit führten weitere Untersuchungen zu einer präziseren Diagnose: Ich litt an einer Mitochondriopathie, einer erworbenen mitochondrialen Erkrankung. Die Mitochondrien sind die «Kraftwerke» der Körperzellen, und in den Skelettmuskeln und der autonomen Muskulatur sind sie besonders häufig vertreten. In einem hochkomplexen, zweihundert Schritte umfassenden Prozess wandeln sie Nährstoffe und Sauerstoff in Energie um. Jeder von uns wird mit einer gewissen Anzahl einzigartiger genetischer Mutationen geboren, und im Lauf unseres Lebens «erwerben» wir weitere hinzu. Eine bestimmte Mutation, die von einem bestimmten Krankheitserreger zum Vorschein gebracht wird, kann zu einer mitochondrialen Fehlfunktion führen, die wiederum eine Stoffwechselkrankheit nach sich ziehen kann.
In meinem Fall könnte dieser Krankheitserreger der Virus gewesen sein, der in dem kleinen Ort in Europa kursierte, wo ich meinen Urlaub verbrachte. Vielleicht war auch irgendwas in dem Leitungswasser, das ich eines Nachts im Hotel trank. Und schließlich saß ja auf dem Rückflug auch noch dieser kranke Chirurg neben mir, wobei ich zu diesem Zeitpunkt bereits ernste, seltsame Symptome entwickelt hatte. Im fünfzehnten Jahr meiner Krankheit erfuhr ich von der durch Zecken übertragenen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), die durch Viren der Familie Flaviviridae, zu der auch der West-Nil-Virus gehört, verursacht wird. Die FSME kann mit einer Borreliose einhergehen, die sich bei mir aber, falls ich sie mir denn zugezogen hatte, von selbst legte. Soweit man weiß, ist die FSME bisher nicht über den Atlantik nach Nordamerika gelangt, so dass meine Ärzte in den USA damals die Symptome nicht hätten erkennen können. Der eigenartige, in zwei Phasen erfolgende Ausbruch der FSME entspricht jedenfalls dem meiner Krankheit: auf anfängliche grippeartige Symptome folgen einige Wochen später ein systemischer, lähmungsartiger Schwächezustand sowie Störungen des vegetativen Nervensystems mit schlechter Langzeitprognose.
Koda
Krankheitserreger, jene kritischen Bestandteile des Urschlamms, aus dem alles Leben hervorgegangen ist, haben sämtliche Spezies mitgestaltet, und es war ein Krankheitserreger, der mich in so engen Kontakt mit einer Schnecke gebracht hatte.
Zwar bin ich mir durch meine Krankheit
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