Gérards Heirat
Händen und sorgfältig gepflegtem Aeußeren. Er war nahe an den Sechzigen. Sein Mund, mit dicken, roten, in der Mitte gespaltenen Lippen sah aus wie eine Doppelkirsche; wenn er lachte, sah man unter diesen feinschmeckerischen Lippen zwei Reihen kleiner, weißer, äußerst regelmäßiger Zähne. Dieser rosige Mund, die dicke, aufgestülpte Nase, das kluge Auge und das dichte, graue und lockige Haar sagten deutlich, daß der Geistliche ein reizender, fröhlicher Tischgenosse mit geschmeidigem Wesen und scharfem Geist sein müsse.
Bei dem Eintritt des Herrn von Seigneulles erhob sich der Abbé mit jenem den geistlichen Herren eigenen Gruß,der einer Verbeugung gleicht. Man sprach erst von gleichgültigen Dingen, dann fragte Frau von Travanette, nachdem Gérards Name ausgesprochen worden war: »Wie geht es ihm? Ist es wahr, daß Sie ihn zum Beamten bestimmt haben?«
»Nein,« sagte der Chevalier, »solange die gegenwärtige Regierung besteht, wird Gérard nie einen Eid leisten, den er nicht würde halten können. Ich halte meinen Sohn bereit für den Tag, an dem unser rechtmäßiger König wiederkehrt, und dieser Tag wird nicht mehr allzuferne sein ...«
»Amen!« seufzte Frau von Travanette, »Gott erhöre Sie; aber ich fürchte, daß ich diesen Tag nicht mehr erleben werde ... Die verbannten Könige sind stets im Unrecht; es geht ihnen mit ihren Unterthanen wie alten Freunden, die einen seit Jahren unterbrochenen Briefwechsel wieder aufnehmen wollen; wenn es darauf ankommt, zur Feder zu greifen, merkt man, daß man auch nicht mehr einen Gedanken gemein hat, und man weiß sich nichts mehr zu sagen ...«
Der Abbé, der sich vor der Politik scheute, nahm eine zerstreute Miene an und begann, unsichtbare Stäubchen von dem Aermel seiner Soutane zu entfernen.
»Was wollen Sie aber einstweilen mit Gérard anfangen?« sagte Frau von Travanette.
»Ich will ihn verheiraten!«
»So schnell! ...«
»Es ist höchste Zeit,« erwiderte der Chevalier. – Er erzählte hierauf die Geschichte vom »Weidenball«, und der Abbé lächelte dazu wie einer, der längst auf dem Laufenden ist. Als Herr von Seigneulles den Namen Marius Laheyrard aussprach, faltete Frau von Travanette die Hände und rief: »Ach! diese Laheyrards! Was ist dies für eine Familie! Ich glaube, es hat nie eine ungeordnetere Haushaltung gegeben; niemals nimmt man in diesem Hause eine Nähnadel in die Hand. Ich sage nichts vom Vater, das ist ein armer Mann; aber die Mutter, welche Närrin ... Keine Magdkann's bei ihr aushalten. Man kann es wirklich kaum glauben, daß sie taktlos genug war, ihrem Mann in dieser Stadt, in der sie eine so stürmische Jugend verlebt hat, eine Anstellung zu verschaffen. Jedermann weiß, daß es keinen Aufschub litt, als sie Herrn Laheyrard heiratete ... Sie hat mir einen Besuch gemacht, den ich nicht erwidert habe, und ich hoffe, daß sie sich damit zufrieden gibt.«
»Ihre älteste Tochter ist recht talentvoll,« warf der Abbé ein.
»Das arme Kind! Sie dauert mich, sie ist so schlecht erzogen! Ist es wahr, Abbé, daß sie mit einem unbedeutenden Beamten von der Präfektur allein spazieren geht und daß sie Nuditäten zeichnet?«
Wieder entfernte der Abbé unsichtbare Stäubchen.
»Ich versichere Sie, gnädige Frau, daß man mehr sagt, als wahr ist.«
»O, Sie verteidigen sie natürlich, Abbé Volland; Sie haben eine Schwäche für die räudigen Schafe.«
»Aber, gnädige Frau,« entgegnete der Abbé sanft, »ist denn dies nicht die wahre christliche Liebe? Uebrigens ist Frau Laheyrard eine entfernte Verwandte von mir; Helene ist mein Patchen und singt mit viel Feuer und Eifer zur Orgel.«
»Immerhin,« fuhr Frau von Travanette hartnäckig fort, »wird sie von niemand empfangen!«
»Verzeihen Sie, Frau Grandfief, so streng sie ist, hat kein Bedenken, Fräulein Laheyrard bei sich zu sehen ...«
»Die ihrer Tochter Georgine Zeichenstunden gibt! Ah! Frau Grandfief ist eine schlaue Dame!«
»Sprechen Sie nicht,« fiel Herr von Seigneulles ein, »von der Frau des ehemaligen Hüttenbesitzers von Salvanches? Hat sie denn eine Tochter?«
»Ja,« entgegnete Frau von Travanette, »und da Sie eine Frau für Gérard suchen, so haben Sie hier schon, was Sie brauchen.«
Der Chevalier spitzte die Ohren, Frau von Travanette,die eine Leidenschaft fürs Heiratstiften hatte, begann sofort Georgine Grandfief außerordentlich zu loben: achtzehn Jahre, hübsch, ausgezeichnet erzogen, zweimalhunderttausend Franken Mitgift, – kurzum, eine
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