Geraubte Erinnerung
Fragen eintippen und die Antworten lesen könnte, die auf seinem Bildschirm erschienen, und sicher wäre, dass diese Antworten von einem anderen Menschen eingetippt worden seien. Turing sagte vorher, dass wir am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts so weit wären, doch kein Computer ist bisher auch nur annähernd so weit, einen solchen Test bestehen zu können. Mit konventioneller Technologie sind wir heute wenigstens noch fünfzig Jahre davon entfernt.«
»Hat denn nicht dieser IBM-Computer Garry Kasparov im Schach geschlagen? Ich weiß, dass ich es irgendwo gelesen habe.«
»Sie meinen Deep Blue?« Ich lachte auf, und das Geräusch hallte merkwürdig spröde durchs Amphitheater. »Ja. Aber DeepBlue hat deswegen gesiegt, weil er Brute-Force-Algorithmen eingesetzt hat, wie Computerwissenschaftler es nennen. In seinen Speichern befindet sich jede bekannte jemals gespielte Turnierpartie, und bei jedem Zug berechnet er Millionen von Möglichkeiten auf der Grundlage dieses Datenmaterials. Er spielt hervorragend Schach, aber er versteht nicht, was er tut. Ein menschlicher Spieler wie Kasparov muss nicht über Millionen Möglichkeiten nachdenken – von denen viele lächerlich einfach sind – wie der Computer. Kasparovs erworbenes Wissen versetzt ihn in die Lage, intuitiv zu spielen und bei jedem Zug hinzuzulernen. Er spielt instinktiv, aus dem Bauch heraus. Und niemand hat bis heute verstanden, was das wirklich bedeutet.«
Rachel setzte sich auf die Kante der Bühne. »Und was wollen Sie mir nun damit sagen?«
»Dass Computer nicht denken wie menschliche Wesen. Sie denken genau genommen überhaupt nicht. Sie führen lediglich Befehle aus. All diese Fernsehspots über ›denkende Software‹ sind Blödsinn. Ernsthafte KI-Forscher fürchten sich inzwischen fast davor, den Begriff künstliche Intelligenz zu verwenden.«
»Okay. Was ist nun mit Project Trinity?«
»Der heilige Gral.«
»Was heißt das?«
»Wir wollen einen Computer schaffen, der wie das menschliche Gehirn arbeitet, doch wir verstehen noch nicht, wie es genau funktioniert. Bis vor zwei Jahren ein Mann erkannte, dass dies nicht das Hindernis sein muss, von dem bis dato alle ausgegangen sind. Dass wir möglicherweise imstande sind, das menschliche Gehirn zu kopieren, indem wir bereits existierende Technologie benutzen, ohne genau zu begreifen, was wir da eigentlich tun.«
»Wer war dieser Mann?«
»Peter Godin. Der Milliardär.«
»Godin Supercomputing?«
Nun war ich überrascht. »Genau der.«
»Wir haben einen Godin Supercomputer im Keller der TUNL, im Hochenergielabor der Duke.«
»Nun, Godin ist der Mann, der Project Trinity ins Leben gerufen hat.«
Rachel sah aus, als würden die Informationen, die ich ihr nach und nach offenbart hatte, sie überzeugen. »Was für eine Technologie besitzen wir denn, die ein Gehirn … kopieren könnte?«
»MRI.«
»Magnetisches Resonanz-Imaging?«
»Genau. Sie bestellen jede Woche MRI-Scans, habe ich Recht?«
»Selbstverständlich.«
»Diese Scans enthalten eine gewaltige Menge an Informationen, nicht wahr?«
»Mehr als ich manchmal interpretieren kann«, räumte sie ein.
»Rachel, ich habe MRI-Scans gesehen, die zehntausendmal mehr Informationen enthalten als diejenigen, die Sie Woche für Woche in Auftrag geben. Zehntausendmal höhere Auflösung.«
Sie blinzelte. »Aber wie ist das möglich? Wie viel können Sie sehen?«
»Ich habe Reaktionen zwischen einzelnen Nervensynapsen gesehen, zu Stein erstarrte Denkprozesse. Ich habe gesehen, wie das menschliche Gehirn auf molekularer Ebene funktioniert.«
»Blödsinn.«
Jeder Arzt hätte das Gleiche gesagt. »Nein. Das Gerät existiert, Rachel. Es steht jetzt, in diesem Augenblick, in einem Raum zehn Meilen von hier. Nur weiß niemand etwas davon.«
Sie schüttelte den Kopf. »Das ergibt doch keinen Sinn. Warum sollte ein Unternehmen so etwas geheim halten?«
»Weil es durch Verträge mit der Regierung dazu verpflichtet ist.«
»Aber ein MRI wie dieses würde seinem Entwickler Hunderte Millionen Dollar einbringen! Es könnte maligne Zellen entdecken, lange bevor sie anfangen, sich zu vermehren!«
»Stimmt. Das war mein größtes Problem bei diesem Projekt.Es ist unethisch, Krebspatienten ein Gerät wie dieses vorzuenthalten. Aber akzeptieren Sie für den Augenblick einfach, dass dieses Gerät existiert und dass es imstande ist, dreidimensionale Modelle des menschlichen Gehirns zu erstellen – mit einer Auflösung bis hinunter zur molekularen
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