Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
meinen Backenzähnen vorgedrungen. »Ja.«
    »Schließen Sie einfach die Augen. Ich fahre weiter.«
    »Immer in Richtung Osten. Unser Ziel liegt ungefähr …«, ich hob drei Finger, »… ungefähr drei Autostunden entfernt.« ImHandschuhfach lag eine Karte der beiden Carolinas. Ich suchte den Highway 64 und deutete auf Plymouth, auf die Stelle, wo der Roanoke River in den Albemarle Sound mündete. »Wenn ich nicht wieder zu mir gekommen bin, bis wir dort sind, wecken Sie mich bitte.«
    Rachel schob den Fahrhebel nach vorn, und der Audi beschleunigte über die Standspur. Als wir fünfzig Meilen in der Stunde erreicht hatten, fädelte sie sich auf den rechten Fahrstreifen ein und gab Gas.
    »Wird es schlimmer?«, fragte sie besorgt.
    In Gedanken sagte ich: Alles bestens, kein Problem, doch irgendein Teil meines Gehirns erkannte, dass sich meine Lippen nicht bewegt hatten. Ich stand ganz kurz vorm Wegtreten. Meine Hände juckten, und mein Gesicht fühlte sich heiß an. Rachel legte mir eine Hand auf die Stirn.
    »Sie sind ganz heiß«, sagte sie. »Ist das immer so?«
    Ich versuchte zu antworten, doch ich fühlte mich wie damals, als ich ein Junge gewesen war, in unserem Swimmingpool in Oak Ridge, und versucht hatte, unter Wasser mit meinen Freunden zu reden. Wir hatten gebrüllt, so laut wir konnten, doch es war uns nicht gelungen, uns verständlich zu machen. Rachels Hand schien mit meiner Stirn zu verschmelzen. Irgendwie war es ein angenehmes Gefühl. Ich wollte einen Blick in den Spiegel an der Sonnenblende werfen, um zu sehen, ob ihre Hand wirklich mit meiner Stirn verschmolz, doch ich konnte mich nicht bewegen. Eine Frau rief von weit her meinen Namen. Bevor ich antworten konnte, brach eine tiefblaue Welle über mir zusammen und riss mich mit. Ich ging unter und taumelte tiefer und tiefer in die Dunkelheit.
    Ich sitze im Freien, an eine Mauer gelehnt, in einem Kreis schlafender Männer. Im Mittelpunkt des Kreises glühen aufgeschichtete Holzscheite. Der Himmel ist voller leuchtender Sterne. Ein Mann namens Petrus sitzt neben mir, in einen Umhang gehüllt. Er wirkt aufgebracht.
    »Warum willst du das tun?«, fragt er flüsternd. »Wenn du wirklich gehst, wirst du Würdelosigkeiten über dich ergehen lassen müssen. Selbst wenn die Leute auf dich hören, werden die Priester und Ältesten dich ablehnen. Und was ist mit den Römern? Du könntest getötet werden!«
    Obwohl er den Namen des Ortes nicht genannt hat, weiß ich, dass er von Jerusalem spricht. »Geh fort«, sage ich zu ihm. »Du schätzt die Dinge, die Hunde schätzen. Deinen Leib, deine nächste Mahlzeit, dein Leben.«
    Er packt mich am Arm und schüttelt mich. »So einfach treibst du mich nicht weg von dir! Ich habe es in einem Traum gesehen! Wenn du gehst, wird man dich hinrichten.«
    »Wer sein Leben zu retten versucht, wird es verlieren«, erwidere ich.
    Petrus schüttelt den Kopf, und in seinen Augen sehe ich Verwirrung.
    Von einem Augenblick zum anderen ändert sich die Szene. Ich bin hoch oben auf einem Berg und blicke hinaus über eine Ebene. Drei Männer sitzen bei mir.
    »Wenn ihr in die Städte geht«, frage ich, »wer, sagt ihr, bin ich?«
    »Wir sagen, du seiest der Gesalbte.«
    Ich schüttele den Kopf. »Sagt nicht so etwas von mir. Sprecht aus euren Herzen. Sagt, was ihr gesehen habt. Nicht mehr.«
    »Ja, Meister«, antwortet Johannes, ein Mann mit großen braunen Augen, die mich an die Augen einer Frau erinnern. Er sieht zu Petrus, dann spricht er vorsichtig weiter. »Ich habe erfahren, dass du beabsichtigst, nach Jerusalem zu gehen.«
    »Ja.«
    Johannes schüttelt den Kopf. »Wenn du das tust, werden die Priester verunsichert sein. Sie werden dich fürchten, und weil sie dich fürchten, werden sie dich zum Tode verurteilen.«
    »Dieser Kelch wurde mir gereicht. Ich muss ihn austrinken.«
    Die Männer verstummen. Ich betrachte gedankenverloren die Ebene unter mir, und Furcht steigt in meinen Gedärmen auf.Das Geschenk dieses Lebens, dieses Körpers zu erfahren und es dann aufgeben zu müssen …
    Ich schrak hoch und packte nach dem Armaturenbrett. Vor mir leuchteten die Rücklichter eines großen Sattelschleppers. Rachel legte beruhigend die Hand auf mein Knie.
    »Keine Sorge, David, alles in Ordnung. Ich bin bei Ihnen.«
    Meine Hände zitterten, und im Mund schmeckte ich noch immer die Angst aus meinem Traum. »Wie lange sind wir schon auf dieser Straße?«
    »Eine Stunde und zwanzig Minuten. Wir sind eben an Plymouth

Weitere Kostenlose Bücher