Gerechtigkeit fuer Igel
werden können als durch den Verweis auf ihre Wahrheit, scheint nicht wirklich relevant. Keine wie auch immer geartete Kausalerklärung kann eine Überzeugung rechtfertigen – skeptische Überzeugungen eingeschlossen. Natürlich hätten Sie auch etwas anderes glauben können. Sie glauben aber, was Sie glauben. Natürlich kann es sein, daß Sie später etwas anderes glauben, und diese Veränderung kann verantwortungsvollem Nachdenken geschuldet sein. Wenn Sie aber wirklich verantwortungsbewußt vorgegangen sind, haben Sie – vorbehaltlich weiteren Nachdenkens – keinen Grund, nicht das zu glauben, und zwar wirklich zu glauben, was Sie glauben. Dies ist kein Quietismus, weil es nicht darum geht, etwas zu verschweigen, sondern nur darum, zu sagen, wie die Dinge stehen.
Was geschieht, wenn sich einfach kein Vertrauen hinsichtlich selbst einer nur vagen Meinung darüber, wie man leben sollte, einstellt, nicht einmal hinsichtlich der, daß es keine richtige Lebensführung gibt? Sie sind sich einfach nicht sicher. Auch das setzt aber, wie wir gesehen haben, voraus, daß es eine Wahrheit zu entdecken gibt. Sie könnten auch im Laufe Ihres Lebens einfach feststellen, daß Sie einer bestimmten Sichtweise folgen. Vielleicht bilden Sie ja einen Stil heraus, wie Sartre annahm, ohne jemals innezuhalten und ihn sich wirklich vor Augen zu führen. Sie können das Ganze auch mit einer größeren Portion Introspektion angehen, sich auf einen Berg zurückziehen, einen Guru finden oder sich einer Bewegung von Mystikern anschließen. Oder auch nicht – vielleicht sehen Sie Ihr Leben einfach als »ein verdammtes Ding nach dem anderen«, nicht aus einem trotzigen Skeptizismus heraus, sondern aufgrund einer Ziellosigkeit, die nicht einmal der Skepsis geschul
707 det ist. Meines Erachtens wäre das keine gelungene Lebensführung. Aber da kann man dann wohl nichts tun außer warten – vielleicht auch nur auf Godot.
Gute Leben und eine gelungene Lebensführung
Es geht mir hier nicht nur darum, die Unabhängigkeit der Werte aufzeigen, sondern auch darum, zumindest eine grobe Struktur der Einheit der Werte herauszuarbeiten. Mein Ziel war es, die Suche eines Igels nach Gerechtigkeit im Rahmen einer viel umfassenderen Theorie der Ethik und der Moral zu validieren. Zum Abschluß will ich nun ein letztes Mal zu den zentralen ethischen Fragen der hier vorgeschlagenen Struktur zurückkehren.
Eine Person führt ihr Leben auf gelungene Weise, wenn sie erkennt, was ein gutes eigenes Leben im Einklang mit der Würde ausmacht, und wenn sie ein solches anstrebt. Das bedeutet auch, die Wichtigkeit des Lebens anderer Menschen und ihrer eigenen ethischen Verantwortung zu achten. Diese beiden ethischen Ideale – das der gelungenen Lebensführung und das des guten Lebens – dürfen nicht in einen Topf geworfen werden. Trotz einer gelungenen Lebensführung kann uns ein gutes Leben verwehrt bleiben, wenn wir etwa schreckliches Pech haben, an großer Armut, unter gravierender Ungerechtigkeit oder an einer furchtbaren Krankheit leiden und einen frühen Tod sterben. Der Wert unseres Strebens ist adverbial zu verstehen und hängt nicht davon ab, wie gut unser Leben tatsächlich ist und wie es sich auf andere auswirkt. Aus diesem Grund kann es geschehen, daß Menschen bis zu ihrem Tod in großer Armut leben, ohne daß an ihrer Lebensführung etwas auszusetzen ist. Trotzdem müssen wir uns so gut es geht um ein möglichst gutes Leben bemühen. Wenn Sie das nicht tun, kann man nicht von einer gelungenen Lebensführung sprechen.
Der Tod fesselt unsere Aufmerksamkeit am meisten. Ein Le
708 ben läßt sich am besten in der Retrospektive, also von seinem Ende her untersuchen. Dann können wir der Frage nicht länger ausweichen, ob die Freuden und Tränen, der Glanz, die Auszeichnungen und Vergnügen so bedeutsam sind, daß sie die Furcht besiegen können, oder ob sie mehr als Spott für die Albernheit unserer Bemühungen darstellen. Aus dieser Perspektive erscheinen unsere beiden Prinzipien der Würde als ziemlich öde. Das zweite hält uns dazu an, die persönliche Verantwortung für die Entscheidungen zu übernehmen, die wir getroffen haben. Im fünften Teil haben wir uns der politischen Dimension dieser Verantwortung zugewendet: Obwohl wir nie frei sind von den Vokabularen und Einflüssen unserer Kultur, müssen wir doch auf der Freiheit von Herrschaft insistieren. Den positiven Forderungen kommt dieselbe Wichtigkeit zu. Ein der permanenten Beurteilung
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