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Gerechtigkeit fuer Igel

Gerechtigkeit fuer Igel

Titel: Gerechtigkeit fuer Igel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Dworkin
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aufstellt, Folter sei immer falsch, und dann hinzufügte, diese Aussage sei nicht wirklich wahr. Sie bestehen aber auf der Unterscheidung zweier Unterfangen oder Sprachspiele: der Alltagssprache auf der einen und dem philosophischen Diskurs auf der anderen Seite. Der Statusskeptizismus müsse, so die Argumentation, dem Sprachspiel der Philosophie zugerechnet werden, und innerhalb jenes Spiels könne man durchaus die Position vertreten, daß unsere moralischen Urteile im Rahmen der Alltagssprache »wahr« genannt werden können, nicht aber im philosophischen Diskurs. Im alltäglichen Miteinander könne ein Anhänger des Statusskeptizismus daher mit unvermindertem Eifer darauf bestehen, daß Folter verwerflich ist und daß es sich hierbei um eine objektive mora
97 lische Wahrheit handelt. Zugleich kann er im philosophischen Diskurs konsistent behaupten, daß diese beiden Ansichten als Projektionen von Emotionen auf ein moralisch inertes Universum zu verstehen sind. Die sprechakttheoretische Variante des externen Skeptizismus ist lange Zeit sehr beliebt gewesen und hat die Moralphilosophie jahrzehntelang dominiert. Weil es aber zunehmend schwieriger wurde, sie zu verteidigen, ist heute eher die Zwei-Sprachspiele-Version in Mode. Lassen Sie uns nun diese beiden Strategien genauer in den Blick nehmen.
    Sprechakttheoretischer Skeptizismus: Die Herausforderung
    Nehmen wir an, daß ich mich ausführlich zum Thema Abtreibung äußere. Ich beginne mit einer einfachen Aussage: »Abtreibungen sind moralisch falsch.« Dann atme ich noch mal tief durch und füge folgendes hinzu: »Wenn ich das sage, mache ich damit nicht einfach meinen Gefühlen Luft oder versuche, meine Einstellung oder die anderer Menschen zu beschreiben, auszudrücken oder zu projizieren; ich meine damit mehr, als daß ich mich oder andere als bestimmten Regeln oder Plänen verpflichtet sehe. Daß Abtreibungen unmoralisch sind, ist wirklich objektiv wahr. Diese Aussage beschreibt eine tatsächliche Forderung der Moral, die von jedweden Impulsen oder Emotionen unabhängig ist. Mit anderen Worten, sie wäre auch dann wahr, wenn niemand außer mir sie für wahr halten würde – ja sogar dann, wenn ich selbst nicht von ihr überzeugt wäre. Weil sie auf zeitlosen, universellen Wahrheiten darüber beruht, was grundsätzlich und intrinsisch richtig oder falsch ist, ist sie universell und absolut und Teil dessen, wie das Universums beschaffen ist. Sie beschreibt also einen tatsächlichen Sachverhalt in einer unabhängigen moralischen Realität oder, kurz ausgedrückt: eine moralische Tatsache.«
    Im folgenden werde ich all das, was ich meiner ersten Stellungnahme hinzugefügt habe, als »weitergehende Ausführun
98 gen« bezeichnen. Sie bringen in scheinbar zunehmend emphatischer Weise den Gedanken zum Ausdruck, daß es hier um eine geistunabhängige moralische Wahrheit geht. Irgendeine dieser Aussagen müßte also von Vertretern der sprechakttheoretischen Variante des Statusskeptizismus als Problem empfunden und abgelehnt werden. Es hat aber den Anschein, als seien all diese weitergehenden Ausführungen moralische Aussagen. Wenn das der Fall ist und der Skeptiker eine von ihnen ablehnt, bezieht er selbst moralisch Position. Wenn er darauf besteht, daß es sich bei meinen Ausführungen nur um Projektionen meiner Emotionen handelt, würde das auf ihn selbst zurückfallen, weil dasselbe ja auch für seine eigenen philosophischen Überlegungen gelten müßte.
    Unser Skeptiker muß versuchen, meine weitergehenden Ausführungen so zu verstehen, daß sie eine Tatsachenannahme oder eine metaphysische These ausdrücken oder voraussetzen, die er dann leugnen kann, ohne seinen eigenen Standpunkt zu gefährden. Das ist aber gar nicht so einfach, weil man sich nur schwer des Eindrucks erwehren kann, daß es sich bei meinen Ausführungen einfach um moralische Behauptungen handelt – wenn auch um sehr emphatische. Wenn jemand der Ansicht ist, daß Abtreibungen immer verwerflich sind, kann es gut sein, daß er in der Hitze der Diskussion ausruft: »Die Verwerflichkeit von Abtreibungen ist eine fundamentale moralische Wahrheit.« Damit würde er seine substantielle Sichtweise aber nur mit großer Vehemenz erneut zum Ausdruck bringen. Manche der weitergehenden Ausführungen scheinen der ersten Aussage zwar tatsächlich etwas hinzuzufügen, aber nur, indem sie diese durch präzisere moralische Urteile erster Ordnung ersetzen. Wenn wir in einem moralischen Kontext die Adverbien

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