Gerechtigkeit fuer Igel
»objektiv« und »wirklich« verwenden, wollen wir unseren Ansichten normalerweise einen besonderen Nachdruck verleihen und sie von anderen absetzen, die wir für »subjektiv« oder für eine Frage der persönlichen Präferenzen halten, wie etwa eine Abneigung gegen Fußball oder Senf. Im Rahmen der Alltags
99 sprache scheint die Aussage, daß Abtreibungen objektiv falsch sind, auf eine meiner weitergehenden Ausführungen hinauszulaufen, die besagt, daß Abtreibungen auch dann falsch wären, wenn niemand das so sehen würde. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine weitere Möglichkeit, den Inhalt des bereits Gesagten zu unterstreichen, nämlich daß Abtreibungen schlicht falsch sind, und dies nicht nur, weil oder falls die Menschen das so sehen.
Auch meine weitergehende Ausführung, daß Abtreibungen universell falsch sind, kann einfach als Erläuterung meines anfänglichen moralischen Urteils verstanden werden. Zu betonen, daß Abtreibungen ungeachtet der Umstände, der Kultur, der Dispositionen oder des ethischen oder religiösen Hintergrunds von Personen falsch sind, präzisiert den Gültigkeitsbereich jenes Urteils. Hier wird also mehr gesagt, als daß Abtreibungen falsch oder auch schlicht objektiv falsch sind, denn ich könnte auch die Position vertreten, daß Abtreibungen aufgrund ihrer tatsächlichen Merkmale und nicht aufgrund der Reaktionen bestimmter Menschen objektiv verwerflich sind, ohne dies für eine universelle Wahrheit zu halten. So könnte ich etwa behaupten, daß Abtreibungen in bestimmten Gemeinschaften, deren religiöse Lehren eine ganz andere Konzeption der Heiligkeit des menschlichen Lebens beinhalten, nicht moralisch falsch sind. Wenn man sagt, daß die Verwerflichkeit von Abtreibungen nicht nur objektiv, sondern auch universell ist, heißt das normalerweise, daß derartige Einschränkungen ausgeschlossen sind.
Wie steht es mit der weitergehenden Ausführung, die Verwerflichkeit von Abtreibungen sei absolut? Dem nächstliegenden Verständnis zufolge sind Abtreibungen nicht nur immer prinzipiell falsch, sondern ihre Verwerflichkeit kann außerdem nie durch konkurrierende Überlegungen übertrumpft werden – einer solchen Sichtweise zufolge wäre eine Abtreibung nie das geringere zweier Übel, selbst wenn das Leben der schwangeren Frau in Gefahr ist. Und was ist mit den etwas überzoge
100 nen Behauptungen, die ich am Ende noch angefügt habe, daß es irgendwo in einer unabhängigen Realität der Moral wahre Sachverhalte gibt und dies zur Beschaffenheit des Universums gehört? So drücken wir uns normalerweise nicht aus. Vertreter skeptischer Positionen verwenden solche von ihnen selbst erfundenen Formulierungen gern, um sie zu verspotten. Unter bestimmten Umständen könnten Menschen allerdings sehr wohl etwas ähnliches behaupten, wenn wir diese Aussagen einfach als überzogene, metaphorische Neuformulierungen dessen verstehen, was die anderen Sätze direkter zur Sprache bringen: nämlich daß die Verwerflichkeit von Abtreibungen nicht davon abhängt, ob sie jemand für falsch hält. Und die letzten Worte meiner weitergehenden Ausführungen? Hier ist von moralischen Tatsachen die Rede, aber wir würden damit normalerweise nicht die Behauptung verbinden, daß moralische Teilchen existieren, sondern den Versuch, noch einmal zu betonen, daß ich nicht nur eine subjektive Präferenz zum Ausdruck bringen will.
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Keine meiner weitergehenden Ausführungen würde sich also als Angriffspunkt für eine skeptische Kritik eignen, weil ihre Zurückweisung den Skeptizismus des Kritikers in einen Selbstwiderspruch führen würde. Der externe Skeptiker müßte in meinen Ausführungen etwas finden, das einerseits kein moralisches Urteil ist und dessen Zurückweisung andererseits skeptische Implikationen hat. Diese beiden Anforderungen werde ich im folgenden als die Bedingungen der semantischen Unabhängigkeit und der skeptischen Relevanz bezeichnen. Darauf zu verweisen, daß ich im Rahmen meiner weitergehenden Ausführungen behaupte, alle Menschen hielten Abtreibungen für verwerflich, würde die zweite Bedingung nicht erfüllen, weil ich dies erstens nicht behaupte und dieser angebliche Irrtum zweitens auch gar keine skeptischen Implikationen hätte. Wenn Menschen unterschiedlicher Meinung über Abtreibungen sind, spricht das nicht per se gegen meine These, daß Abtreibungen intrinsisch und immer moralisch falsch sind. Wie Sie vielleicht schon ahnen, können die beiden Bedingungen der Unabhän
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