Gerechtigkeit fuer Igel
ein weiteres Mal vom Weg abgekommen. Um ihre Behauptung zu verteidigen, daß moralische Urteile keine Meinungen zum Ausdruck bringen, müssen Vertreter des sprechakttheoretischen Skeptizismus zeigen, daß es nichts gibt, worauf sich diese Meinungen beziehen könnten.
Jene natürlich vorhandene Verknüpfung zwischen unseren Überzeugungen hinsichtlich unserer moralischen Pflichten und unserem Verhalten läßt sich viel besser erklären, indem man genauer auf eine psychologische Frage eingeht: Warum interessieren sich Menschen für moralische Probleme? Wenn wir alle, wie ich vermute, eine gelungene Lebensführung für erstrebenswert halten und glauben, dazu gehöre es auch, unserer jeweiligen moralischen Verantwortung gerecht zu werden, dann ist es ganz natürlich, daß wir im allgemeinen zumindest einen gewissen Impuls verspüren, das zu tun, was wir für moralisch geboten halten. Das trifft nicht auf jeden zu. Merkwürdig ver
106 quere Personen wie etwa Shakespeares Richard III . oder John Miltons Satan interessieren sich nur deswegen dafür, was moralisch falsch ist, weil sie an einer Handlung besonders viel Freude haben, wenn diese verwerflich ist – sie wollen tun, was sie in den Worten Satans »verabscheuen« sollten.
16 Warum sich eine Person aber überhaupt für moralische Fragen interessieren sollte, wenn sie keinerlei Zusammenhang zwischen den entsprechenden Antworten und ihrem zukünftigen Handeln sieht, ist nur schwer einzusehen. Wenn es daher einen echten Amoralisten gäbe, hätte er keinerlei moralische Überzeugungen.
An dieser Stelle können wir zudem festhalten, daß die von mir anfangs skizzierte zweistufige Argumentation, der zufolge moralische Urteile keine Meinungen sind, die Probleme des Statusskeptizismus nicht lösen kann. Wenn meine Aussage über die Verwerflichkeit von Abtreibungen nicht Ausdruck einer Meinung war, weil Aussagen wie diese uns typischerweise motivieren, dann gilt dasselbe auch für meine weitergehenden Ausführungen, denn auch diese motivieren uns typischerweise. Es wäre bizarr, wenn jemand behaupten würde, Abtreibungen seien absolut, objektiv und aufgrund der Beschaffenheit des Universums wahr, nur um direkt im Anschluß einer Freundin frohen Mutes eine Abtreibung zu empfehlen. Wenn es sich aber bei den weitergehenden Ausführungen durchweg nicht um Meinungen handelt, wie können sie dann falsch sein? Und wenn sie nicht falsch sein können, welchen philosophischen Fehler soll die sprechakttheoretische Strategie dann korrigieren? Worauf bezieht sich der Skeptizismus?
Primäre und sekundäre Eigenschaften
Mein skeptischer Gegenspieler könnte nun versuchen, eine andere philosophische Annahme in meinen weitergehenden Ausführungen zu identifizieren. In der Philosophie wird unterschieden zwischen einerseits primären Eigenschaften, die ein Ge
107 genstand als solcher hat und selbst dann haben würde, wenn es keine fühlenden oder intelligenten Lebewesen gäbe – etwa die chemischen Eigenschaften bestimmter Metalle –, und sekundären Eigenschaften andererseits, die auf dem Potential eines Gegenstands beruhen, in fühlenden oder intelligenten Wesen bestimmte Empfindungen oder Reaktionen hervorzurufen. Die Ekelhaftigkeit von verdorbenen Eiern ist zum Beispiel eine sekundäre Eigenschaft: Sie besteht allein im Potential verdorbener Eier, bei den meisten oder bei normalen Menschen ein Gefühl von Ekel hervorzurufen. Ein Vertreter des Statusskeptizismus könnte behaupten, meinen weitergehenden Ausführungen zufolge seien moralische Eigenschaften primäre Eigenschaften. Eine solche Lesart würde es ihm dann ermöglichen, dieser These zu widersprechen, ohne meine anfängliche Behauptung in Frage zu stellen. Ebenso wie man verneinen kann, daß Ekelhaftigkeit eine primäre Eigenschaft verdorbener Eier ist, und dennoch glauben kann, daß solche Eier ekelhaft sind, könnte der Skeptiker zugeben, daß Abtreibungen moralisch falsch sind, aber zugleich darauf bestehen, daß es sich bei ihrer Verwerflichkeit nicht um eine primäre Eigenschaft von Abtreibungen handelt. Obwohl auf diese Weise die Unabhängigkeit von meiner ersten Aussage gesichert werden kann, gelingt das dem Skeptiker nicht dank einer externen nichtmoralischen These, sondern durch die Einnahme einer alternativen moralischen Position erster Ordnung, und darum scheitert auch diese Strategie an der Unabhängigkeitsbedingung, wenn auch auf andere Weise.
Bei der Auffassung, daß moralische Verwerflichkeit eine sekundäre
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