Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
Vom Netzwerk:
zu erfahren wünschte, ob sie selbst nicht schon einen Liebsten habe, antwortete sie scherzend, daß sie ihre Mutter nicht kränken wolle, daß dies aber doch notwendigerweise eines Tages werde geschehen müssen. Sie hatte die Schultern eingezogen, denn sie fror ein wenig in ihren von Schweiß durchtränkten Gewändern. Ihre Miene war sanft und ergeben; sie schien bereit, Menschen und Dinge ruhig hinzunehmen.
    »Man findet leicht einen Schatz, wenn man so beisammen lebt, nicht wahr?« fragte er.
    »Ganz gewiß.«
    »Auch schadet das niemandem... Nur dem Pfarrer darf man nichts davon sagen.«
    »Oh, ich kümmere mich wenig um den Pfarrer! Aber der schwarze Mann!...«
    »Was? Der schwarze Mann?«
    »Der alte Bergmann, der in die Grube zurückkommt und den schlimmen Mädchen den Hals umdreht.«
    »Du glaubst an solche Dummheiten! Weißt du denn nichts?«
    »Doch, ich kann schreiben und lesen... Das ist bei uns von Nutzen; denn zur Zeit von Vater und Mutter lernte man nichts.«
    Er fand sie entschieden sehr nett und gedachte, sobald sie mit ihrer Brotschnitte zu Ende sei, sie zu fassen und auf die dicken, roten Lippen zu küssen. Es war die Entschlossenheit eines Schüchternen, ein gewaltsamer Gedanke, der ihm die Kehle zuschnürte. Diese Knabenkleidung, die Jacke und das Beinkleid auf diesem Mädchenleibe, sie erregten und belästigten ihn. Er hatte seinen letzten Bissen hinuntergewürgt, trank von der Flasche und gab ihr diese zurück, damit sie den letzten Rest trinke. Jetzt war der Augenblick zu handeln gekommen, und er warf einen ängstlichen Blick nach den im Hintergrunde sitzenden Arbeitern, als plötzlich ein Schatten vor der Galerie erschien.
    Chaval stand seit einer Weile da und betrachtete sie von ferne. Jetzt kam er näher und versicherte sich durch einen Blick, daß Maheu ihn nicht sehen könne; da Katharina noch immer auf der Erde saß, packte er sie bei den Schultern, beugte ihren Kopf zurück und preßte einen wilden Kuß auf ihre Lippen, ganz ruhig, augenscheinlich unbekümmert um die Anwesenheit Etiennes. Dieser Kuß war gewissermaßen eine Besitzergreifung, eine Art eifersüchtigen Entschlusses.
    Doch das junge Mädchen hatte sich dagegen gewehrt.
    »Laß mich, hörst du?« rief sie.
    Er hielt ihren Kopf fest und schaute ihr tief in die Augen. Sein roter Schnurr- und Geißbart flammte in seinem schwarzen Gesichte mit der großen Adlernase. Endlich ließ er sie los und ging wortlos seines Weges.
    Ein Frösteln überlief Etienne. Es war dumm von ihm, daß er gewartet hatte. Nein, gewiß, jetzt wollte er sie nicht mehr umarmen; sie könnte sonst glauben, er sei so wie der andere. Er war ordentlich trostlos in seiner verletzten Eitelkeit.
    »Warum hast du gelogen?« sagte er mit leiser Stimme. »Das ist dein Liebhaber.«
    »Aber nein, versichere ich dir!« rief sie. »Es gibt nicht die geringste Gemeinschaft zwischen uns. Manchmal treibt er Spaß mit mir ... Er ist auch gar nicht aus unserer Gegend; vor sechs Monaten ist er aus dem Pas-de-Calais hierhergekommen.«
    Beide hatten sich erhoben. Man ging wieder an die Arbeit. Als sie ihn so kühl sah, schien sie darüber verdrossen. Ohne Zweifel fand sie ihn hübscher als den anderen und würde ihn vielleicht vorgezogen haben. Es plagte sie der Gedanke, sich ihm freundlich zu zeigen, gleichsam um ihn zu trösten, und als der junge Mann erstaunt seine Lampe betrachtete, die mit blauer Flamme brannte und einen breiten, blassen Kragen hatte, versuchte sie wenigstens, ihn zu zerstreuen.
    »Komm, ich will dir etwas zeigen«, flüsterte sie mit kameradschaftlicher Miene.
    Als sie ihn in die Tiefe des Schlages geführt hatte, zeigte sie ihm einen Spalt in dem Kohlenlager. Ein leises Brodeln tönte da hervor, ein schwaches Geräusch, das dem Pfeifen eines Vogels glich.
    »Tu deine Hand da her, spürst du den Schwaden? Das sind die bösen Gase, davon entstehen die Grubenbrände.«
    Er war erstaunt. Die furchtbare Sache, die schlagenden Wetter: die alles in die Luft sprengten: war's nichts weiter als das? Sie erwiderte lachend, es müsse sich davon heute viel angesammelt haben, weil die Lampen mit so blauer Flamme brannten.
    »Habt ihr bald genug geschwätzt, Faulenzer!« rief die rauhe Stimme Maheus.
    Katharina und Etienne beeilten sich, ihre Karren zu füllen, und schoben sie nach der schiefen Ebene, mit steifem Nacken unter der verzimmerten Decke des Weges dahinkriechend. Schon bei der zweiten Fahrt waren sie von Schweiß bedeckt, und ihre Knochen krachten von

Weitere Kostenlose Bücher