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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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geborsten, in langen, weißen Bruchstücken, allzu schwachen Krücken gleichend. Man mußte auf seiner Hut sein, um an diesen Holzstücken sich die Haut nicht wund zu reißen; und unter dem langsamen, allmählichen Druck, der schenkeldicke Eichenprügel knickte, warf man sich platt auf den Bauch in der dumpfen Angst, daß plötzlich der Rücken zerschlagen werde.
    »Schon wieder!« rief Katharina lachend.
    Etiennes Karren war an der schwierigsten Stelle entgleist. Es wollte ihm nicht gelingen, den Karren geradeaus fortzuschieben auf diesen Schienen, die in dem feuchten Erdreich sich verbogen; und er fluchte und wetterte und plagte sich wütend mit den Rädern ab, die er trotz seiner äußersten Anstrengungen nicht wieder an ihre Stelle bringen konnte.
    »Geduld,« sagte das Mädchen; »wenn du ärgerlich wirst, geht es erst recht nicht.«
    Sie hatte sich hurtig herangeschlichen und rücklings kriechend den Hintern unter den Karren geschoben; mit einem Ruck der Lenden hob sie ihn und brachte ihn wieder an seine Stelle. Es war ein Gewicht von siebenhundert Kilogramm. Überrascht und beschämt stammelte er Worte der Entschuldigung.
    Sie mußte ihm zeigen, wie er die Beine spreizen und die Füße an die Hölzer zu beiden Seiten der Galerie stemmen müsse, um feste Stützpunkte zu gewinnen. Der Körper müsse vorgebeugt, die Arme stramm ausgestreckt werden, damit man mit allen Muskeln, mit den Schultern und mit den Hüften anstoßen könne. Während einer solchen Fahrt folgte er ihr und konnte sehen, wie sie rasch dahinfuhr, mit gespanntem Hinterteil, die Fäuste so tief ansetzend, daß sie auf allen Vieren zu laufen schien, wie eines jener Zwergtiere, die man im Zirkus arbeiten sieht. Sie schwitzte und keuchte, ihre Gelenke krachten; aber sie klagte nicht, sie zeigte den Gleichmut der Gewohnheit, als ob es das gemeinsame Elend aller sei, so gebeugt zu leben. Ihm aber wollte es nicht gelingen; seine Schuhe belästigten ihn, sein Körper versagte den Dienst bei dieser Art, mit gesenktem Kopfe zu gehen. Schon nach wenigen Minuten ward diese Körperhaltung für ihn eine Marter, eine unerträgliche, dermaßen schmerzliche Pein, daß er sich einen Augenblick auf die Knie warf, um sich aufzurichten und Atem zu schöpfen.
    Bei der abschüssigen Fläche trat eine neue Schwierigkeit ein. Sie zeigte ihm, wie man flink seinen Karren einschalten müsse. Auf der Höhe und am Fuße dieser schiefen Ebene, deren sich alle Schläge, von einem Absatz bis zum andern, bedienten, war je ein Gehilfe, oben der Bremser, unten der Aufnehmer. Diese beiden Taugenichtse von zwölf und fünfzehn Jahren riefen einander abscheuliche Worte zu, und um sie zu benachrichtigen, mußte man ihnen noch rohere zubrüllen. Sobald ein leerer Karren zum Aufziehen da war, gab der Aufnehmer das Signal, die Schlepperin schaltete den vollen Karren ein, dessen Gewicht den anderen Karren emporsteigen ließ, wenn der Bremser die Bremse lockerte. Unten in der Galerie am Boden bildeten sich die Züge, welche dann die Pferde bis zum Aufzugsschachte zogen.
    »He, ihr verdammten Schlingel!« rief Katharina in die schiefe Ebene hinab, die vollständig verzimmert, etwa hundert Meter lang war und widerhallte wie ein riesiges Sprachrohr.
    Die Burschen schienen auszuruhen, denn sie antworteten nicht, weder der eine noch der andere. In allen Stockwerken ruhte die Abfuhr. Eine dünne Mädchenstimme rief schließlich:
    »Gewiß liegt wieder einer auf der Mouquette!«
    Ein riesiges Gelächter brach los; die Schlepperinnen der ganzen Ader hielten sich die Bäuche.
    »Wer ist das?« fragte Etienne Katharina.
    Diese nannte ihm die kleine Lydia, ein Gassenmädchen, dem die Augen schon aufgegangen, und das trotz seiner Puppenärmchen seinen Karren so stramm schob wie ein erwachsenes Weib. Die Mouquette sei sehr wohl imstande, sich mit beiden Jungen auf einmal abzugeben.
    Doch jetzt hörte man den Aufnehmer rufen, die Karren sollten eingeschaltet werden. Ohne Zweifel ging unten ein Aufseher vorüber. Die Abfuhr ward in den neuen Stockwerken wiederaufgenommen; man hörte nichts als die regelmäßigen Rufe der Gehilfen und das Schnauben der Schlepperinnen, die dampfend gleich allzu stark beladenen Stuten bei der schiefen Ebene ankamen. Der Zug des Tierischen wehte durch die Grube, die plötzlich erwachende Begierde des Mannes, wenn ein Arbeiter einem dieser Mädchen begegnete, die auf allen vieren sich fortbewegten, die Lenden in die Höhe gestreckt, mit ihren Hüften schier die Knappenhose

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