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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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zerren und ihr drohen, daß sie ihr den Hintern einpracken werde. Dann gab es ein Stampfen und Schreien wegen des Waschens und bei jedem Kleidungsstücke, das sie ihnen anlegte. Man ließ die Fensterläden geschlossen, um den Schlaf des Vaters Bonnemort nicht zu stören. Doch er schnarchte fort inmitten des greulichen Lärmes der Kinder.
    »Das Frühstück ist fertig. Kommt ihr endlich herunter?« rief Frau Maheu.
    Sie hatte die Fensterläden geöffnet, das Feuer aufgeschürt und Kohle zugelegt. Sie hatte gehofft, daß der Alte nicht alle Suppe verschlungen habe; allein sie fand den Topf leer. Deshalb ließ sie eine Hand voll Nudeln aufkochen, die sie seit drei Tagen in Vorrat gehalten. Man werde sie ohne Butter essen, so wie sie aus dem Wasser kommen, dachte sie; von dem Krümchen, das gestern noch da war, sei wohl nichts übriggeblieben. Zu ihrer Überraschung fand sie aber, daß Katharina, nachdem sie die, »Ziegel« zurechtgemacht, noch ein faustgroßes Stückchen übrig gelassen hatte. Der Speiseschrank jedoch war leer: nichts, nicht das kleinste Krümchen Brot, kein Knochen zum Abnagen. Was sollten sie anfangen, wenn der Krämer Maigrat ihnen den Kredit verweigert und die Spießbürger in der Piolaine ihr keine hundert Sous geben? Wenn die Mannsleute und das Mädchen von der Grube zurückkommen, müssen sie doch essen; denn man habe leider noch kein Mittel erfunden, wie man leben könne ohne zu essen.
    »Kommt ihr endlich?« rief sie zornig. »Ich hätte schon fort sein sollen.«
    Als Alzire und die kleineren Kinder da waren, verteilte sie die Nudeln auf drei kleine Teller. Sie seihst habe keinen Hunger, sagte sie. Obgleich Katharina den Kaffeesatz von gestern schon einmal aufgegossen hatte, goß sie noch einmal Wasser darüber und trank zwei große Gläser voll von diesem Kaffee, der so dünn war, daß er Rostwasser glich. Es werde ihr schon Leib und Seele zusammenhalten, meinte sie.
    »Höre,« sagte sie wiederholt zu Alzire, »du läßt deinen Großvater schlafen und gibst acht, daß Estelle nicht aus dem Bette fällt; wenn sie erwachen und zu stark schreien sollte, hast du da ein Stück Zucker, das du im Wasser lösest; davon gibst du ihr einige Löffel voll... Ich weiß, du bist klug und wirst den Zucker nicht essen.«
    »Und die Schule, Mama?«
    »Die Schule bleibt für einen andern Tag... Ich brauche dich heute.«
    »Soll ich die Suppe machen, wenn du spät kommst?«
    »Die Suppe, die Suppe ... Warte damit, bis ich komme.«
    Mit der Altklugheit eines gebrechlichen Mädchens begabt, verstand Alzire sehr gut, die Suppe zu bereiten. Sie schien indes die Mutter zu verstehen und drängte nicht weiter in sie. Jetzt war das ganze Arbeiterdorf erwacht; die Kinder gingen scharenweise zur Schule, man hörte das schleppende Geklapper ihrer Überschuhe. Es schlug acht Uhr; bei den Levaque, den linksseitigen Nachbarn, ward das Geplauder immer lauter. Der Werktag der Frauen begann; sie standen bei ihren Kaffeetöpfen, die Fäuste auf die Hüften gestemmt, die Zungen in ewiger Bewegung wie die Mühlsteine einer Mühle. Ein welker Kopf mit dicken Lippen und platter Nase erschien draußen am Fenster und rief:
    »Hör' einmal, es gibt was Neues!«
    »Nein, nein, später!« erwiderte Frau Maheu. »Ich habe einen Gang zu machen.«
    In der Angst, dem Anerbieten, ein Glas heißen Kaffees zu nehmen, nicht widerstehen zu können, trieb sie Leonore und Heinrich zur Eile an und brach mit ihnen auf. Der Vater Bonnemort oben schnarchte weiter; sein gleichmäßiges Schnarchen hallte durch das Haus.
    Draußen sah Frau Maheu mit Überraschung, daß der Wind aufgehört hatte. Plötzliches Tauwetter war eingetreten; der Himmel war erdfahl, auf den Mauern lag eine grünliche, klebrige Feuchtigkeit, die Straßen waren mit Schmutz bedeckt, mit einem dieser Kohlengegend eigentümlichen Schmutz, so schwarz wie flüssiger Ruß, dick und zäh, daß die Schuhe darin stecken blieben. Sie mußte sogleich Leonore ohrfeigen, die sich den Spaß machte, mit ihren Schuhen den Schmutz aufzuheben wie mit der Spitze einer Schaufel. Als sie aus dem Dorfe waren, ging sie längs des Kohlenlagers und des Kanals dahin und, um den Weg abzukürzen, quer durch aufgelassene Wege zwischen allerlei wüstem Terrain, das mit alten, moosbedeckten Planken eingefriedet war. Es folgten dann Schuppen, langgestreckte Fabrikgebäude, hohe Schlote, die Ruß spien und dadurch diese ganze wüste Landschaft, diese Fabrikumgebung beschmutzten. Hinter einem Pappeldickicht sah man

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