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Germinal

Germinal

Titel: Germinal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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»du siehst ja, daß man dich erwartet hat... Der Wind hat dich wohl an der Nachtruhe gehindert, mein armes Kind?«
    Das Mädchen schaute sie sehr erstaunt an.
    »Wie? Hat der Wind heute nacht geweht?... Ich weiß nichts davon; ich habe mich nicht gerührt.«
    Dies schien ihnen nun dermaßen komisch, daß alle drei zu lachen begannen; die Mägde, die das Frühstück brachten, lachten mit, belustigt von dem Gedanken, daß das Fräulein zwölf Stunden in einem Zuge geschlafen habe. Der Anblick des Kuchens tat das seinige, alle Gesichter vollends zu erheitern.
    »Wie? Der Kuchen ist schon fertig?« rief Cäcilie wiederholt. »Da hat man mir eine Falle gelegt... Ach, er ist noch ganz warm... Wie gut wird sich das zur Schokolade essen lassen!...«
    Endlich setzten sie sich zu Tische; die Schokolade dampfte in den Tassen; man sprach lange nur von dem Kuchen. Melanie und Honorine blieben da und erzählten, wie er sich so schön gebacken habe; sie betrachteten ihre Gebieter, wie sie mit fetten Lippen sich damit stopften, und meinten, es sei ein Vergnügen, einen Kuchen zu backen, wenn man sehe, wie die Herrschaft ihn gar so gern esse.
    Doch jetzt begannen die Hunde laut zu bellen; man glaubte, sie kündeten die Ankunft der Klavierlehrerin, die jeden Montag und Freitag von Marchiennes kam. Es kam auch ein Professor für Literatur. Die ganze Ausbildung des Mädchens ging so in der Piolaine selbst vor sich in einer glücklichen Unwissenheit unter tausend Launen eines Kindes, welches das Buch zum Fenster hinauswarf, sobald eine Frage es langweilte.
    »Es ist Herr Deneulin«, meldete Honorine.
    Deneulin, ein Vetter des Herrn Grégoire, folgte ihr auf dem Fuße ohne Umstände und sehr geräuschvoll mit dem lebhaften Auftreten eines Kavallerieoffiziers. Obgleich er die Fünfzig schon hinter sich hatte, waren seine kurz geschorenen Haare und sein Schnurrbart schwarz wie Tinte.
    »Ja, ich bin's. Guten Morgen!... Laßt euch nicht weiter stören!«
    Er nahm Platz, während die Familie sich dagegen verwehrte, als könne er sie stören. Endlich fuhren sie fort, ihre Schokolade zu trinken.
    »Hast du mir vielleicht etwas zu sagen?« fragte Herr Grégoire.
    »Nein, nichts«, beeilte sich Herr Deneulin zu antworten. »Ich bin ausgeritten, um mir ein wenig Bewegung zu machen, und wollte nicht an eurer Tür vorbei, ohne euch guten Tag zu sagen.«
    Cäcilie fragte nach seinen Töchtern: Johanna und Luzie. Sie befanden sich vollkommen wohl; die erstere saß unablässig bei ihrer Malerei, während die andere, die ältere, vom Morgen bis zum Abend am Klavier saß und ihre Stimme übte. Während er dies sagte, zitterte seine Stimme leicht und klang ein Unbehagen durch, das seine geräuschvolle Heiterkeit nur unvollkommen verdeckte.
    »Und wie geht's in der Grube?« fragte Herr Grégoire weiter.
    »Mein Gott! Die dumme Krise trifft mich geradeso wie die andern... Wir büßen jetzt für die guten Jahre! Man hat in der Hoffnung auf eine ungeheure Produktion zuviel Fabriken, zuviel Eisenbahnen gebaut, zu große Kapitalien festgelegt. Heute verkriecht sich das Geld; man findet nicht mehr genug, um den ungeheuren Betrieb aufrechtzuerhalten. Glücklicherweise ist nicht alles verloren, und ich werde mich schon durchkämpfen.«
    Gleich seinem Vetter hatte auch er einen Anteil der Kohlengruben von Montsou geerbt. Doch er, der unternehmende Ingenieur, hatte sich von der Gier nach einem königlichen Reichtum geplagt, beeilt zu verkaufen, als der Anteil auf den Wert einer Million gestiegen war. Seit Monaten erwog er einen Plan. Seine Frau hatte von einem Oheim das kleine Grubenunternehmen von Vandame geerbt, wo nur zwei Schächte offen waren, Jean-Bart und Gaston-Marie, und diese in einem so verwahrlosten Zustande, so kläglich ausgerüstet, daß ihr Betrieb kaum die Kosten deckte. Sein Plan war, Jean-Bart instandzusetzen, den Zufahrtsschacht zu erweitern, damit mehr Leute anfahren könnten, während der Schacht Gaston-Marie bloß der Kohlenförderung dienen sollte. Das Geld müsse in Scheffeln zu holen sein, meinte er. Der Plan war richtig; allein, er hatte die Million aufgezehrt, und diese unglückselige Industriekrise brach in dem Augenblicke aus, wo die reichen Erträgnisse der Grube ihm rechtgeben sollten. Er war überdies ein schlechter Verwalter, hatte plötzliche Anwandlungen von Güte seinen Arbeitern gegenüber und ließ sich ausplündern, seitdem seine Frau tot war. Auch ließ er seinen Töchtern volle Freiheit; die ältere sprach davon, zum Theater

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